New Yorker »Wunderkind« – Zehn Jahre nach dem Höhenflug

Lucien Smiths neue Karriere auf dem Land

Montauk, ein 4.000-Einwohner-Dorf in den USA mit dem Spitznamen »The End«. Hier wohnt der Künstler Lucien Smith, der vor zehn Jahren als »Wunderkind« die New Yorker Kunstszene aufmischte. Das Ende ist es für ihn aber noch nicht. In ländlicher Umgebung findet Smith zu neuer Kreativität: »Zum ersten Mal fühle ich mich wie ein richtiger Künstler.«

von Marius Damrow, 22. November 2022

Im Mai 2011 stellte Lucien Smith (*1989) erstmals öffentlich aus. Die Zwei-Personen-Abschlussausstellung Imagined Nostalgia beim privaten College Cooper Union beurteilte die New York Times als hervorragend – Smith wurde über Nacht zum Star. , Der damalige Kunststudent erwischte den perfekten Start in ein Leben als Künstler. Mit Anfang 20 besaß er ein Atelier inklusive Assistenten, seine Galerieausstellungen waren schon vor Eröffnung ausverkauft und bei Auktionen erzielten seine Werke Top-Preise.

Die Käufer erwiesen sich schnell als Spekulanten, die auf einen schnellen Wiederverkauf aus waren. Nach vier Jahren fielen die Preise so schnell, wie sie gestiegen waren. Smiths vielversprechende Karriere war vorbei, verdient hatte er an den hohen Verkaufszahlen im Sekundärmarkt kaum etwas. Seit 2015 lebt er im Dorf Montauk, wo er sich selbst als Künstler neu entdeckt. Diese Phase scheint 2022 gewissermaßen abgeschlossen: Smith arbeitet nun in Los Angeles.

Beispiel einer Preisentwicklung von Lucien Smith

Lucien Smith - Boys Don\'t Cry
Auction
Contemporary Evening Sale
July 2014
Phillips, London Auction
Est.: 40.000 - 60.000 GBP
Realised: 116.500 GBP
Details
Lucien Smith - Boys Don\'t Cry
Auction
20th Century & Contemporary Art Day Sale
June 2017
Phillips, London Auction
Est.: 30.000 - 50.000 GBP
Realised: 27.500 GBP
Details

Kurze Karriere in New York

Im Jahr 2013 erzielte das Gemälde Hobbes, The Rain Man and My Friend Barney/Under the Sycamore Tree bei einer Philips-Auktion in New York 389.000 US-Dollar – bei einem Schätzpreis von bis zu 150.000 US-Dollar. 2019 lag der durchschnittliche Verkaufspreis für ein Smith-Werk bei knapp 23.000 US-Dollar. Der junge Künstler erlebte aus erster Hand, wie sehr eine Künstlerkarriere von Spekulanten abhängig ist – ohne selbst finanziell beteiligt zu sein. Hobbes, The Rain Man and My Friend Barney/Under the Sycamore Tree verkaufte Smith ursprünglich nach seiner Abschlussausstellung für 10.000 US-Dollar, an den hohen Weiterverkäufen verdiente er kaum etwas. Diese Erfahrung musste er mit vielen seiner Arbeiten machen.

Lucien Smith

Hobbes, The Rain Man, and My Friend Barney / Under the Sycamore Tree

Found at Phillips, New York
Contemporary Art Evening Sale, Lot 1
11. Nov - 11. Nov 2013
Estimate: 100.000 - 150.000 USD
Price realised: 389.000 USD
Details

Besonders seine großformatigen Rain-Paintings, bei denen er Acrylfarben mit Feuerlöschern auf die Leinwand sprühte, hatten es Kunstsammlern angetan. Das neue »Wunderkind« scheiterte an der Macht von Galeristen und Käufern. Der frühe Hype um ihn verhinderte, dass Smith eine stabile Grundlage für eine langjährige Karriere mit langsam wachsenden Preisen aufbauen konnte. »Ich bin nicht gegen den Kunstmarkt und das Galeriesystem. Ich denke, dass es funktioniert und den Künstlern hilft, Ressourcen zu generieren, um exponentiell zu wachsen«, erklärt Smith. »Aber dieses ganze System hat einen Lehrplan auf die gesamte Branche projiziert. Sie ist nach wie vor marktorientiert, und der Künstler wird bei diesen Gesprächen außen vor gelassen.«

Von Vulkanen und Vorbildern

2015 verlässt Smith seine Galerie und die Stadt New York. Er zieht ins Dorf Montauk, wo er sich als Künstler und auch als Mensch neu erfindet. Die kurze, ereignisreiche Karriere stürzt ihn auch privat in eine tiefe Sinnkrise. Auf der Suche nach Antworten lebt er nun in einem Dorf, das von seinen Einwohnern »The End« genannt wird. Es liegt am östlichen Ende von Long Island und ist in den USA für seinen Leuchtturm bekannt. Er war 1796 das erste öffentliche Bauprojekt der Vereinigten Staaten. Hier kehrt Smith zu den Wurzeln der Malerausbildung zurück: dem Abmalen. Magazin- und Buchcover, aber hauptsächlich Fotografien von Landschaften überträgt er in Gemälde.

Besonders Bilder von Vulkaneruptionen faszinieren ihn. Vulkane als Geber fruchtbarer Asche und Kreatoren der Erdmassen, auf denen die Menschen leben. Im Laufe der Zeit stellt sich ein Freiheitsgefühl ein, frei vom Erwartungsdruck anderer Menschen: »Zum ersten Mal fühle ich mich wie ein richtiger Künstler«, sagt Smith zu seiner Entwicklung.

Neuorientierung mit Serving The People

Lucien Smith

STP

Found at Phillips, New York Auction
New Now, Lot 223
26. Sep - 26. Sep 2018
Estimate: 6.000 - 8.000 USD
Price realised: 7.500 USD
Details

Er entscheidet sich, diesmal ein richtiges künstlerisches Vorbild zu sein. Eines, das nicht Geld, sondern Kreativität im Sinn hat. Seit 2018 belebt er die Non-Profit-Organisation STP (Serving The People) wieder, die es seit 2013 gibt. Smith gründete sie damals, als er bemerkte, wie sehr der Trubel um seine Person ihm die Freude an kreativer Arbeit nahm. Stets musste er an mögliche Verkaufspreise denken und konnte sich nicht inhaltlich befreien. Er strebte danach, der große Star zu sein, immer der Jüngste und Beste, der einen Meilenstein nach dem anderen erreicht: »Ich wollte der jüngste Künstler sein, der jemals ein Werk für über eine Millionen versteigert hat.«

Das Landleben in Montauk, wo man im Gegensatz zu New York nur wenig Geld fürs alltägliche Leben benötigt, hat sein Leben und sein Denken neu ausgerichtet. Smith selbst mag wieder, wer er ist.

STP, NFT und GOAT

STP ist Smiths gemeinnützige Plattform, auf der gleichgesinnte interdisziplinäre Kunstschaffende ihre Arbeiten präsentieren können – ohne die kommerzielle Voreingenommenheit der Kunstindustrie. Es geht ihm darum, eine kreative Umgebung zu schaffen, in der Kritik an den Werken nicht vom Geld her gedacht wird. »Meine Mona Lisa« nennt Smith sein Projekt.

Seit einigen Monaten arbeitet der immer noch junge Künstler fernab von Montauk in einem Studio in Los Angeles, seiner Geburtsstadt. Dort kann er »in größerem Maßstab« agieren, seinen Wohnsitz hat er wieder nach New York verlegt. Im Dezember 2021 veröffentlichte der Künstler sein erstes NFT-Projekt: SEEDS ist eine Serie aus 10.000 Bildern. Smith definierte 40 Farb- und Formmerkmale, die zufällig vom Computer zu den NFTs zusammengestellt werden. Eine Arbeit der Serie SEEDS kostete zu Beginn 0,1 Ether (damals 370 US Dollar), das Geld soll teilweise zum Ausbau von STP verwendet werden. Schon vor dem Launch haben 15% der NFTs neue Besitzer gefunden.

Doch kann die Rückkehr in gleich zwei Großstädte der USA gelingen, ohne den alten Bedürfnissen nach (kommerziellem) Erfolg nachzugeben? Auf die Frage eines Schweizer Journalisten, was sein Zehn-Jahres-Plan ist, antwortet Smith im Sommer 2022: »Lange genug am Leben bleiben, um der G.O.A.T. (Greatest of All Time) zu werden.«Art.Salon

Eines von Smiths Rain Paintings

Lucien Smith

Two Sides Of The Same Coin

Found at Sothebys, London
Contemporary Art Evening Auction, Lot 1
12. Feb - 12. Feb 2014
Estimate: 40.000 - 60.000 GBP
Price realised: 224.500 GBP
Details

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