Stefan Osnowski

Der digitale Holzschnitt als Spiegel unserer kulturellen Bildpraxis

Es kommt nicht allzu oft vor, dass es einem Künstler gelingt, bereits durch seine Technik eine  ganz eigene und unverwechselbare Ästhetik zu schaffen. Die »Digitalen Holzschnitte« von Stefan Osnowski weisen eine solche ungesehene Anmutung auf.

von Felix Brosius, 21. September 2021
Stefan Osnowski im Atelier
Stefan Osnowski, geboren 1970 in Altentreptow

Stefan Osnowski ist ein Künstler, der seine Bilder aufwändig konstruiert. Dazu bedient er sich ausschließlich der Jahrhunderte alten Technik des Holzschnitts. Schon dies ist für einen zeitgenössischen Künstler eher ungewöhnlich. Absolut einmalig ist aber, dass Osnowski mit einem der ältesten Vervielfältigungsverfahren, gemeinhin eher für grobe – eben holzschnittartige - Darstellungen bekannt, eine ausgesprochen filigrane, digital anmutende, hochmoderne Ästhetik erschafft.

Holzschnitt mit digitalem Raster

Digitale Bilder, wie wir sie heute nahezu pausenlos auf Fernseh-, Computer- und Handybildschirmen sehen, setzen sich aus zahllosen einzelnen Bildpunkten zusammen. Auf modernen Geräten sind die Bildpixel inzwischen so zahlreich und klein, dass wir sie nicht mehr als einzelne Punkte wahrnehmen, wir alle kennen aber die Rasteroptik, die sich auf alten Bildschirmen und in ungelenk vergrößerten Digitalbildern zeigt. Eine ganz ähnliche Rasterstruktur prägt auch die Druckgrafiken von Osnowski, denn ganz wie bei der Berechnung digitaler Bilder überführt auch er das Motiv in ein strenges Raster aus Hell und Dunkel. Die für Holzschnitte ausgesprochen feinen Abstufungen und Schattierungen in seinen Bildern ergeben sich allein aus der Dichte der Rasterpunkte und bilden sich erst im Auge des Betrachters. Der Druckstock selbst kennt bei Osnowski keine Schattierungen, er unterscheidet nur Hell und Dunkel, Positiv - Negativ, Null und Eins und wird damit zum digitalen Code des Motivs.

Stefan Osnowski - Landvermesser - 2020
Landvermesser, 2020

Während allerdings die Übersetzung des Motivs in ein digitales Raster vom Computer nach festem Algorithmus in Sekundenbruchteilen erfolgt, ist das manuelle Abbilden im Holzschnitt ein langwieriger Prozess, geprägt von zufälligen Einflüssen und zu keinem Zeitpunkt exakt kontrollierbar. Wie spaltet sich das Holz? Wie schneidet das Messer in die Maserung? Wo schleichen sich die unvermeidbaren kleinen Fehler ein? Ein durchgängig körperlicher Vorgang, den Osnowski sogar beim Druck beibehält, denn er verzichtet auf die beim Holzdruck sonst übliche Druckmaschine und nimmt auch die Abzüge manuell vor, indem er zunächst  das Papier mit der Hand auf den Holzstock aufdrückt und anschließend mit verschiedenen Glaslinsen in unzähligen kreisförmigen Bewegungen immer wieder über die Rückseite des Papiers streift, bis dieses die Farbe aufgenommen hat – im gesamten Entstehungsprozess des Bildes der anstrengendste Vorgang, der bei größeren Arbeiten mehrere Stunden dauert und jedem Abzug einen individuellen Charakter verleiht.

»Ich liebe das sperrige, schwer kontrollierbare Naturmaterial und den sehr handwerklichen und physischen, aber sensitiven Schaffensprozess des Druckens.«

Freiheit der Natur und »Unorte« der Effizienz

Osnowski arbeitet sowohl gegenständlich als auch abstrakt, bis hin zum Informellen. Zwei Themen tauchen unter seinen Motiven dabei immer wieder auf, Landschaftsdarstellungen in fast schon romantischer Anmutung und kalte, anonyme Straßenansichten – Sehnsuchtsorte und »Unorte«, wie Osnowski sie selbst nennt. Aufgewachsen in den 1970er und -80er Jahren in einer Kleinstadt der ehemaligen DDR, empfand Osnowski die engen Gässchen des Ortes schon in jungen Jahren als Spiegel der provinziellen Engstirnigkeit in einem von Mauern umgebenen Land. So wurden die Flüsse, Seen und Wälder des Umlandes schnell zu einem Fluchtpunkt, an dem er und seine Freunde in einer von alten, überfluteten Torfgruben geprägten Landschaft zwischen Wasser und Schilf ihre eigenen Inseltraumreiche errichten konnten - und wenn auch diese Inseln zu klein wurden, »liehen« sie sich ungefragt das Boot des Fischers und fuhren die Flüsse hinauf. Fast immer mit dabei: Stift und Papier, um die Eindrücke festzuhalten. »Ich habe oft ein kleines Skizzenbuch mitgenommen, um zu zeichnen und mit Wasserfarben zu malen. Ich habe vom Meer, den Bergen und der Ferne geträumt.«

»In der Natur habe ich gelernt, was Freiheit bedeutet.«

Diese Verbindung zur Natur besteht bis heute und findet ihren Ausdruck in Osnowskis Arbeiten. Am deutlichsten erkennbar ist dies in gegenständlichen Naturdarstellungen von gewaltigen Bergmassiven oder sich über den Horizont auftürmenden Wellenbergen in einem tosenden Meer, die sich für einen Platz in der Hamburger Kunsthalle gleich neben Caspar David Friedrich empfehlen.

Stefan Osnowski - Cordoma - 2018
Cordoama, 2018

Doch nicht immer ist der Blick auf die Natur ungetrübt. Die Serie »Ikarische Landschaft« zeigt ein Terrain, das sich in Auflösung befindet, Strukturen, die zerfallen, ein Ort, der verschwindet und kaum noch als Landschaft zu erkennen ist. Gleichzeitig tritt die figurative Darstellung zurück, löst sich auf, geht über ins Abstrakte, als müsse der Zerfall dokumentiert werden, aus Trotz oder Gnade des Künstlers geschieht dies aber auf erträgliche Weise hinter dem Schleier der Abstraktion.

Stefan Osnowski - Aus der Serie Ikarische Landschaft - 2019
Aus der sechs Werke umfassenden Serie Ikarische Landschaft, 2019

Doch Orte verschwinden nicht nur, sie entstehen auch neu, nicht selten von Menschenhand geschaffen und in diesen Fällen allzu oft als wenig heimelige Orte, beliebig austauschbar, nicht zum Verweilen gedacht, sondern unter dem Effizienzdiktat errichtet nach funktionalen Aspekten, der Industrie oder dem Verkehr dienend, Orte der Durchfahrt, Aufenthalt unerwünscht. Für Osnowski sind dies »Unorte«, unstet und seelenlos, die er im Holzschnitt einfängt, in einer Momentaufnahme eingefroren wie ein einzelner Frame aus einem endlosen Film.

Stefan Osnowski - Passage - 2017
Passage, 2017

Unterwanderung der digitalen Bildästhetik

Das digitale Raster legt sich dabei stets wie ein Filter über das Motiv und greift die heute vorherrschende Bildästhetik auf. Denn während digitale Bilder seit Jahrzehnten weiterentwickelt werden, um so real wie möglich zu erscheinen, haben sie in fast tragischer Weise ihre ganz eigene Ästhetik geprägt, die unsere heutigen Sehgewohnheiten dominiert. Auf gewisse Art dreht Osnowski den Spieß nun um und erobert den Deutungsraum zurück, indem er tradierte Produktions- und Druckverfahren dem digitalen Code unterwirft. Ein Wettstreit mit sehr ungleichen Waffen. Während Sie diesen Satz lesen, werden allein auf Instagram über 5.000 Fotos hochgeladen, mehr als  1.000 in jeder Sekunde, etwa 100 Mio. pro Tag. Osnowski arbeitet an einem Motiv viele Wochen und Monate.

Der Holzschnitt zählt heute ganz sicher nicht zu den populärsten Techniken bei den zeitgenössischen Künstlern und so dürfte der in Budapest lebende Osnowski eine weitgehende Alleinstellung besitzen. Dabei fand auch er erst über Umwege zu der heute so virtuos ausgeführten Technik. Anfang der 1990er-Jahre begann er zunächst ein Studium der klassischen Archäologie in Kiel, wechselte aber schnell zu Germanistik und Theaterpädagogik in Greifswald, bevor er dort schließlich von 1994 bis 2000 an das Caspar-David-Friedrich-Institut für Kunst wechselte. Er legte seinen Schwerpunkt auf Malerei und Installation, erhielt früh erste Einzelausstellungen in Greifswald und Berlin, deren vielversprechende Resonanz ihn darin hätte bestärken können, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Dem stand aber eine Familiengründung und der Umzug nach Budapest entgegen, der ihn vorübergehend künstlerisch entwurzelte. Er suchte neue Ausdrucksformen und fand schließlich zum Holzschnitt. Inzwischen sind seine Arbeiten in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen und finden sich weltweit in diversen privaten Sammlungen. Das verwundert nicht, denn Osnowski hat den tradierten Holzschnitt in eine moderne Bildsprache überführt, ganz so, als sei diese archaische Technik das ideale, geradezu unverzichtbare Medium, um die anstehenden Fragen unserer kulturellen Bildpraxis zu verhandeln.Art.Salon

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