Über Gender-Show- und -Pay-Gap in Kunst und Kultur

Wie unterrepräsentiert sind Frauen in der Kunst tatsächlich?

Dass es ihn gibt, den Gender-Pay-Gap gibt, ist kaum zu leugnen – und er macht auch vor der Kunstbranche keinen Halt. Trotz der weit verbreiteten Meinung, dass Frauen in der Kreativszene doch eigentlich verhältnismäßig häufig zu finden seien, gibt es wie so oft auch hier ein Ungleichgewicht zugunsten der Männer. Aber zeigt sich das tatsächlich nur beim Honorar? Zahlen, Daten und Fakten legen deutlich offen, wie verschieden die Geschlechter jeweils repräsentiert sind, was aber oft fehlt, sind Erkenntnisse über die Ursachen und vor allem Lösungen.

von Bettina Röhl, 30. September 2021
The poster for the Guerilla Girls\' campaign, which reads »Do Women Have to be Naked to Get Into the Met Museum?«
Guerrilla Girls, Do Women Have to be Naked to Get Into the Met. Museum? 1989 | Copyright © Guerrilla Girls, courtesy guerrillagirls.com.
Die Guerilla Girls machten in den 1980er Jahren auf das Problem unterrepräsentierter Frauen in der Kunst öffentlich aufmerksam.

New York City, 1989: Ein gelb grundiertes Plakat mit der Aufschrift »Do women have to be naked to get into the Metropolitan Museum?« und der Illustration einer nackten Frau mit Gorillagesicht sorgt für Furore in der Museumslandschaft. Die Idee kommt von den Guerilla Girls, einer feministisch-aktivistischen Gruppe, deren Gründung mit dem aus ihrer Sicht offensichtlichen Missstand weiblicher Repräsentation in der Kunstwelt zusammenhängt. Nicht nur die Gesichter auf den Plakaten, auch ihre eigenen verstecken die Guerilla Girls stets hinter Gorillamasken – und bleiben dadurch bis heute anonym. Auslöser für diesen Zusammenschluss war nicht nur die Auswahl der Werke im Metropolitan Museum, deren Künstlerinnenanteil mit unter fünf Prozent damals äußerst gering ausfiel, sondern auch die der vielbeachteten Ausstellung International Survey of Painting and Sculpture im Museum of Modern Art.

Gerade einmal 13 Künstlerinnen hatten es hier neben 156 Künstler an die Wände des Kunsthauses geschafft. Hinzu kam die überhebliche Aussage des Kurators Kynaston McShine, der allen nicht vertretenen Personen dazu riet, die eigene Karriere zu überdenken. 32 Jahre ist dieses Szenario nun her – da hat sich doch sicher einiges getan in Sachen Gleichstellung, oder? Die Tatsache, dass die Mitgliederzahl der Guerilla Girls seitdem auf eine ungeahnte Größe gewachsen ist – und mit ihr der zugehörige Aktivismus, deutet an, dass die Gruppe auch heute noch Handlungsbedarf sieht. Wie sieht es aktuell aber tatsächlich aus mit der Repräsentation von Frauen in der Kunst?

Gender-Pay-Gap über 25 Prozent

Zur Klärung dieser Frage ist ein Blick auf die Zahlen hilfreich – am Anfang einer potenziellen Künstlerinnenkarriere steht in vielen Fällen ein Studium: In Deutschland lag der Frauenanteil der Fächergruppen Kunst und Kunstwissenschaft im Jahr 2017 laut Kulturstatistik 2020 der statistischen Ämter des Bundes und der Länder bei 65,2 Prozent – und so ähnlich sahen die Zahlen auch in den Jahren zuvor aus. International verhält es nicht viel anders – auch an den »großen« international renommierten Universitäten ist eine ähnliche Verteilung zu beobachten: Am Royal College of Art in London betrug der Studentinnenanteil 2019 66 Prozent, am Pratt Institute in New York waren es 2020 63 Prozent und am Goldsmiths der University of London 2019 ebenfalls 66 Prozent. Frauen haben also allem Anschein nach zunächst die Nase vorn, was ihre Kunstausbildung angeht. Aber was passiert danach? Die Hälfte aller Selbstständigen in Kulturberufen ist den Berichten der statistischen Ämter des Bundes und der Länder zufolge in Deutschland weiblich. Das klingt nach einem ausgewogenen Verhältnis. Der Bericht der Künstlersozialkasse der aktiv versicherten selbstständigen Künstlerinnen und Künstler sowie Publizistinnen und Publizisten ergab im Januar 2020 dieser Verteilung zum Trotze einen Gender-Pay-Gap von 26 Prozent.  Das Institut für Strategieentwicklung (IFSE) stellte 2018 die Situation Berliner Künstler und Künstlerinnen vor und dokumentierte darin einen Gender-Pay-Gap von 28 Prozent allein in der bildenden Kunst. Dieses Lohn- bzw. Honorargefälle, das derzeit also irgendwo zwischen 26 und 28 Prozent rangiert, ist zunächst nur ein Symptom, die Ursache ist daraus nicht abzulesen. 

Es beginnt mit dem Gender-Show-Gap

Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg einer Künstlerin bzw. eines Künstler ist die Sichtbarkeit. Im Ausstellungsbetrieb wird analog zum Pay-Gap daher auch von einem Gender-Show-Gap gesprochen – demnach bekommen Künstlerinnen in viel geringerem Maße die Chance, sich zu den Einflussreichsten ihrer Zeit zählen zu dürfen. Wir fragten nach bei Barbara Green, Kuratorin mit Fokus auf Frauen in der Kunst und Pressesprecherin vom Goldrausch Künstlerinnenprojekt, das seit 30 Jahren jungen bildenden Künstlerinnen bei ihrer Professionalisierung zur Seite steht und ihnen auf verschiedenen Wegen eine Stütze bietet.

Goldrausch 2017 – exhibition view, Laura Link (top center), Azar Pajuhandeh (bottom right), Sophia Mix (bottom left), Elisa Duca (center).
Foto: Eric Tschernow
Goldrausch, 2017, Ausstellungsansicht, Laura Link (oben Mitte), Azar Pajuhandeh (unten rechts), Sophia Mix (unten links), Elisa Duca (Mitte)
»Frauen haben nicht die gleichen Chancen, dass ihre Werke gesehen und gekauft werden.«

Für Green besteht ein klarer Zusammenhang zwischen dem überdurchschnittlichen Brutto-Stundenlohn-Gefälle in der Kunstbranche und der niedrigen Ausstellungsquote weiblicher Kunst: »Frauen haben nicht die gleichen Chancen, dass ihre Werke gesehen und gekauft werden. Zum Berliner Gallery Weekend, dem verkaufsstärksten Event der Szene, offenbart der sogenannte Gender-Show-Gap eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Spitzenwerte lieferte etwa das Gallery Weekend 2018, auf dem männliche Künstler ganze 40 Prozent mehr Einzelausstellungen hatten als Künstlerinnen.«

Führende Museen der USA kaufen nur 11 Prozent weibliche Kunst

Dieses Phänomen ist keineswegs auf Deutschland beschränkt – auch in den USA, die seit Jahrzehnten tonangebend auf dem Kunstmarkt sind, macht es sich bemerkbar. Die New York Times veröffentlichte im September 2019 einen Artikel, der folgendes Ergebnis offenlegt: Zwischen 2008 und 2018 stammten gerade einmal 11 Prozent der Kunst, die von den führenden Museen der USA für ihre ständigen Sammlungen erworben wurde, von Frauen. In den 2010er Jahren kauften die 26 Top-Museen der Vereinigten Staaten insgesamt 260.470 Werke direkt an – darunter schlappe 29.247 Arbeiten von Künstlerinnen. Ein Problem liege demzufolge nicht allein darin, dass Frauen in den Einzel- und Soloausstellungen gar nicht vertreten seien, sondern auch darin, dass ihre Arbeiten nicht in die ständigen Sammlungen mit aufgenommen würden. Der Bericht des IFSE fördert zudem einen deutlichen Gender-Show-Gap in den Einzelausstellungen der großen US-Museen zutage:  Zwischen 2007 und 2014 lag der Künstlerinnenanteil bei den Soloausstellungen im Whitney bei 29 Prozent, im Guggenheim bei unter 25 Prozent und im MoMA unter 20 Prozent.

Diese Relation deckt sich auch mit der Verteilung des jüngsten Kunstkompasses des Capital-Magazins, das darin seit 1970 jährlich die größten internationalen Künstlerinnen und Künstler auszeichnet: 2020 finden sich unter den Top 10 sieben Männer und drei Frauen. Auf den ersten drei Plätzen rangieren Männer, und zwar in derselben Reihenfolge wie schon 2018 und 2019: Gerhard Richter, Bruce Nauman, Georg Baselitz. Platz vier und fünf werden dagegen von Rosemarie Trockel und Cindy Sherman belegt. Beim Ranking des Kunstkompasses spielen Auktionspreise laut Capital keine Rolle – es komme vielmehr durch ein Punktesystem zustande, das sich aus den Kriterien Einzelausstellungen in einem der über 300 renommierten internationalen Museen wie dem MoMA in New York, Teilnahme an einer der wichtigsten 100 Gruppenausstellungen wie der documenta, Rezensionen in renommierten Kunstmagazinen, Ankäufe durch namhafte Museen, Ehrungen mit Auszeichnungen wie dem Turner Prize und bei Skulpturen außerdem Aufstellungen im Außenraum bemisst. 

Auf ein langsames Umdenken der Kunstwelt deutet dagegen die Gewichtung unter den sogenannten »Stars von morgen« hin, die das Capital in einem eigenen Ranking aufführt, bei dem nicht nur die Gesamtpunktzahl, sondern auch der Punktezuwachs gegenüber dem Vorjahr berücksichtigt wird: Hier fällt die Verteilung tatsächlich fifty-fifty aus. Die Hälfte der Plätze wurde mit aufsteigenden Künstlerinnen bedacht – mit einer Frau, Otobong Nkanga aus Antwerpen, an der Spitze. Diese Spitzenposition bricht im Übrigen gleich eine weitere Verkrustung im Kunstmarkt auf: Eine Woman of Color als Erstplatzierte ist auch deshalb von großer Bedeutsamkeit, weil der weltweit »regierende« Kunstmarkt nicht nur männlich, sondern auch weiß dominiert ist – eine Gegebenheit, auf die die Guerilla Girls ebenfalls bereits in den 1980er Jahren hinwiesen. 

Die Dominanz der männlichen Künstler unter den aktuellen Stars lässt sich auch in barer Münze messen – unter den zehn teuersten, noch lebenden Künstlern der Welt befindet sich laut Monopol-Magazin derzeit keine einzige Frau: Jeff Koons, David Hockney, Gerhard Richter, Cui Ruzhuo, Jasper Johns, Ed Ruscha, Peter Doig, Zheng Fanzhi, Damien Hirst, Maurizio Catellan. Im Kunstbetrieb gibt es hiernach sowohl einen Gender-Pay-Gap als auch einen Gender-Show-Gap – wie die künftigen Entwicklungen aussehen werden, bleibt abzuwarten. Noch stehen Frauen, was den Verkaufswert ihrer Kunst angeht, hinten an – das wachsende Punktekonto von immer mehr Künstlerinnen bei der Auswertung des Kunstkompasses lässt jedenfalls Hoffnung sprießen. 

Arbeiten Frauen einfach nicht so gut?

Woher diese Disbalance rührt, ist sicher nicht einfach zu ergründen, geschweige denn in einem Satz zu beantworten. Einerseits gibt es für die Unterrepräsentation gewiss ähnliche Gründe wie in anderen Branchen auch: zum Beispiel die allseits bekannte Durchsetzungsfähigkeit, die aller Regel nach männlichen Charakteren positiv anhaftet, während Frauen sich eher früh in Zurückhaltung üben. Daneben geht es auch klar um die Einschätzung der Kompetenz, an der es aber im Grunde nicht liegen kann – die Überzahl der Studienabsolventinnen spricht eine deutliche Sprache. Unter den derzeit »wertvollsten« und angesehensten Künstlern befinden sich übrigens kaum Autodidakten, der Zustand lässt sich also nicht durch den Mythos des angeborenen Genies erklären – auch wenn einer von ihnen, Georg Baselitz, 2013 einer englischen Tageszeitung gegenüber noch in der ihm eigenen Überheblichkeit behauptete, Frauen könnten einfach nicht malen. Schlussendlich fußt der aktuelle Zustand, ähnlich wie in anderen Bereichen auch, auf geschichtlichen Entwicklungen und mitunter auf der damit einhergehenden strukturellen Benachteiligung. 

Laut Green sind die Hintergründe für diesen Zustand in Deutschland unter anderem dem Umstand geschuldet, dass es nach dem Ersten Weltkrieg zunächst eine liberale Entwicklung gegeben habe, diese später aber wieder zunichte gemacht worden sei: Die ersten Frauen seien 1919 an Kunsthochschulen in Deutschland zugelassen worden – bis in die 1930er Jahre haben Frauen die Kunstgeschichte schließlich mitgeprägt, seien emanzipiert gewesen und haben sich organisiert. Mit dem aufkommenden Nationalsozialismus sei dieses Rad versucht worden zurückzudrehen – mit Erfolg. Nach 1945 sei eine geschlechtsspezifische Unterdrückung von Künstlerinnen zu beobachten, die bis in die heutige Zeit den Einfluss und den Schaffensprozess von Künstlerinnen ausklammere.

»Der Altstar protegiert eine jugendliche Version seiner selbst.«
Archipelago – Goldrausch 2018 exhibition view
Foto: Sebastian Eggler
Archipelago, Goldrausch 2018, Ausstellungsansicht

Die NS-Ideologie kann nun aber kaum die Ursache für die international führende Rolle männlicher Kunst sein: Global betrachtet rührt die Chancenungleichheit von tradierten Denk- und Verhaltensmustern her, die durch sogenannte »Old-Boys-Networks« unterstützt würden, wie Hannah Kruse, Leiterin des Goldrausch-Projekts, in einem Interview mit Cornelie Kunkat vom Deutschen Kulturrat 2019 konkretisiert. In diesen Netzwerken »protegiert der Altstar oftmals eine jugendliche Version seiner selbst«, so Kruse. Was eine entsprechende Frauensolidarität Im Vergleich dazu angeht, so liefert eine Untersuchung der Plattform Artsy vom Dezember 2017 anlässlich der 16. Ausgabe der Art Basel in Miami Beach einen (kleinen) Anhaltspunkt: Galeristinnen stellen demzufolge mit einer 28 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit Künstlerinnen aus, als dies männliche Galeristen tun. Mit insgesamt 33,6 Prozent waren Künstlerinnen allerdings selbst in den von Frauen geführten Galerien noch deutlich unterrepräsentiert. Unter den männlichen Kollegen betrug der Anteil vertretener Künstlerinnen übrigens 24,6 Prozent.

Auch in der Kunstwelt: Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Von zentraler Bedeutung ist auch in der Kunstwelt ein spannungsgeladenes, wenn auch nicht gerade neues Thema,  die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die dahinter verborgenen Prozesse sind aber nicht so monokausal zu begründen, wie es zu erwarten wäre: Unabhängig davon, wie klassisch die Rollenverteilung unter den Elternteilen ausfällt, steckt hinter dem recht konservativen gesellschaftlichen Mutterbild noch mehr als »nur« die gesellschaftliche Implikatur der alleinigen Verantwortung der Frau, die das Kind geboren hat – und zwar ein Mechanismus, der ihnen ihre Handlungsfähigkeit und ihre Durchsetzungskraft noch einmal mehr aberkennt.

Green beantwortet die Frage zu dieser Thematik damit, dass einige Galeristinnen und Galeristen sowie Sammlerinnen und Sammler den Marktwert einer Künstlerin in Gefahr sehen, sobald sie sich entscheidet, Mutter zu werden. »Sie befürchten, dass die Künstlerin, die sie mit aufgebaut haben, weniger produktiv sein könne, ihr Werk sich durch die Mutterschaft verändern oder sie den künstlerischen Beruf gar ganz aufgeben werde.« Es sei bedauerlicherweise kein Einzelfall, dass Künstlerinnen nach Bekanntwerden ihrer Schwangerschaft die Zusammenarbeit gekündigt werde, auch wenn offiziell andere Gründe vorgeschoben würden. Und nicht nur selbstständigen schwangeren Frauen und Müttern geht es in der Kunstbranche so. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der Fall Nikki Columbus. Auch ihr wurde als frischgebackene Mutter das Vorurteil entgegengebracht, zu wenig Zeit und Elan für ihren Job aufbringen zu können. Sie sollte 2018 die Stelle der associate curator of performance im MoMa PS1 besetzen – bis die Museumsleitung erfuhr, dass sie kurz zuvor entbunden hatte und ihr daraufhin die Position entzog. Columbus verklagte daraufhin das Museum, suchte die Öffentlichkeit und konnte auch dank einer Petition, die mehr als 29.000 Unterschriften erhielt, nicht nur eine Entschädigung erstreiten, sondern auch eine Anpassung der Richtlinien des Museums zum Umgang mit Schwangeren und Eltern unter den Angestellten.

Old-Boys-Netzwerke erschweren Künstlerinnen den Weg nach oben

Arbeiten Frauen nun schlechter als Männer? Höchstwahrscheinlich nicht, auch wenn ein Baselitz davon überzeugt sein mag. Die Gründe liegen, wie so oft, viel tiefer: Künstlerinnen müssen sich mehr beweisen und sind nicht ausreichend sichtbar. Ihre zahlenmäßige Überlegenheit im Kunststudium zeigt, dass sie fachlich gesehen sogar einen Vorsprung haben sollten. Auch die gleichmäßige Verteilung unter den »Stars von morgen« des Capital-Magazins belegt ihr Können – und spricht für einen Perspektivwechsel, der in Gang gekommen zu sein scheint. Angesichts der Tatsache, dass der Aufbau einer Künstlerkarriere mitunter sehr lange dauert, verwundert es auch nicht, dass sich dieser Prozess des Wandels langsam vollzieht. Die Old-Boys-Netzwerke und der mangelnde Zugang für Frauen zu diesen Netzwerke erschweren Künstlerinnen den Weg nach oben aber immer noch erheblich – von den negativen beruflichen Folgen, die das Muttersein für sie haben kann, einmal abgesehen. Die Männer, die es »geschafft« haben, bevorzugen es, jemanden zu fördern, der sie an sich selbst erinnert, ohne körperliche und soziale »Barrieren«, die eine vermeintliche Kluft eröffnen könnten. 

Gibt es doch noch einen Wandel?

Zumindest, was die reine Anerkennung freischaffender Künstlerinnen anbelangt, ist trotz fortbestehendem Gender-Pay- und -Show-Gap ein Wandel seit den 2010er-Jahren zu beobachten: Während bis 2005 beispielsweise gerade einmal zwei Frauen mit dem Turner Prize ausgezeichnet worden sind, stieg die Zahl danach rapide an: Zwischen 2005 und 2019 kamen neun Preisträgerinnen hinzu – zwei von ihnen allein im Jahr 2019, in dem alle vier nominierten Personen ausgezeichnet wurden. Karrieren werden im Kunstbetrieb zudem oft von einzelnen Entscheidungsträgern in Schlüsselpositionen bestimmt, sodass sich auch ein Blick auf diese Besetzung in der Branche lohnt: Wie verteilt sich etwa die männliche und weibliche Expertise in den (weltweit) führenden Etagen von Galerien und Museen? 

Das Capital stellt neben dem Kunstkompass auch eine Übersicht der 50 bedeutendsten internationalen Galerien vor, die sich nach der Anzahl der bekanntesten vertretenen Künstlerinnen und Künstler richtet: Hier sind es tatsächlich 50 Prozent der Häuser, die von Frauen geleitet oder (mit-)begründet worden sind. An erster Stelle steht die Leo Castelli Gallery in New York, die inzwischen von Kunstkritikerin und Ehefrau des Gründers Barbara Bertozzi Castelli geführt wird. Mit dem vierten Platz ebenfalls weit oben befindet sich der Berliner Standort der in Köln gegründeten Sprüth Magers Galerie.

Galerien scheinen hier fortschrittlicher zu sein als so manche andere Institutionen - die künstlerische Leitung der documenta etwa wurde in 66 Jahren ganze zweimal mit Frauen besetzt – mit Catherine David bei der documenta X 1997 und Carolyn Christov-Bakargiev für die dOCUMENTA (13) 2012. Unter den 20 weltweit bestbesuchten Kunstmuseen sieht es ähnlich aus: Es finden sich genau drei Frauen in der Position der »Chairwoman«: Barbara Jatta im Vatikanmuseum, Frances Morris in der Tate Gallery of Modern Art in London und Kaywin Feldman in der National Gallery of Art in Washington. Andere bedeutende Kunsthäuser wie das Museum of Modern Art in New York, der Louvre in Paris oder der Prado in Madrid werden von Männern geführt.

Die Lücke endlich schließen – aber wie?

Bleibt also die Frage, wie die Situation geändert werden kann. Es ist eigentlich simpel: Eine allumfassende Unterstützung junger Künstlerinnen in mentaler wie finanzieller Form, unabhängig davon, ob eine Frau Kinder hat oder nicht. Eigentlich. Eine Fifty-fifty-Quote in öffentlichen Museen und Kunsteinrichtungen, in denen derzeit noch keine Gleichverteilung herrscht, stellt eine wünschenswerte, wenn auch schwer umsetzbare Lösung dar, um Künstlerinnen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Oftmals stoßen Quoten auf Widerstand, weil so eine »erzwungene« Realität befürchtet wird, selbst wenn eine gleichwertige Qualifikation die Basis zur Erfüllung eines ausbalancierten Verhältnisses bildet. So könnte vorerst statt eines Gebots der Appell an Menschen in führenden Positionen und an besagte Netzwerke ein Anstoß sein, Künstlerinnen mehr zu präsentieren und zu protegieren.

Gerade Frauen in Chefpositionen – und natürlich auch Männer – können einiges bewirken, sie könnten insbesondere zu einer besseren Vernetzung unter Frauen beitragen. Barbara Green weist hier auf zwei positive Beispiele hin: Maria Balshaw, die Direktorin der Tate Britain in London – sie änderte 2018 für die Dauer eines Jahres die Sammlungspräsentation zeitgenössischer Kunst und zeigte ausschließlich Werke von Frauen. In Deutschland sei Ingrid Pfeiffer, Kuratorin der Schirn Kunsthalle Frankfurt, als Vorreiterin genannt – sie schließe mit ihren Ausstellungen zu vergangenen Kunstären eine Lücke, indem sie Künstlerinnen präsentiere, die zu Lebzeiten Erfolge erzielten – und nicht erst nach ihrem Tod. Den Gender-Show-Gap auf diese Weise ein Stück weit zu verkleinern, ist also auch auf kurze Sicht durchaus möglich. Ein Ausgleich der aktuell deutlichen Unterrepräsentation weiblicher Kunst führt in jedem Fall zu mehr Sichtbarkeit und so dauerhaft zu mehr Anerkennung. Projekte und Förderprogramme sollten nicht nur entsprechend selbst genutzt, sondern auch mehr und mehr an die Öffentlichkeit getragen und an entsprechende Personen weitergegeben werden.

Mehr Sichtbarkeit führt dauerhaft zu mehr Anerkennung.

Das Mitwirken von staatlicher Seite ist für eine nachhaltige Änderung dieser Verhältnisse gerade in Ländern wie Deutschland, in denen ein Großteil der namhaften Museen und Galerien in öffentlicher Hand liegt, zwingend notwendig. Aus diesen Gründen forderte etwa auch die Vorsitzende des Brandenburgischen Verbands Bildender Künstlerinnen und Künstler e.V. Jutta Pelz in ihrer Rede anlässlich der Demonstration »Fair share – Sichtbarkeit für Künstlerinnen« am Weltfrauentag 2020 von der Politik und der Öffentlichkeit unter anderem die Förderung von Projekten zur Erforschung der Kunst von Frauen durch Universitäten und andere Bildungseinrichtungen, die Verpflichtung öffentlich geförderter Museen Werke von Künstlerinnen in ihre Bestände aufzunehmen, sowie die gezielte Förderung von Ausstellungen zur Präsentation bislang verborgener Kunst von Frauen. Art.Salon

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