
Kartoffelbrei auf die Achillesferse
Eines der ersten Gebote, die man als Kind lernt, ist, dass man im Museum nichts anfassen darf, weil die Exponate vulnerabel und unersetzlich sind. Klebriger Kartoffelbrei, blutrote Tomatensuppe und Sekundenkleber im Ausstellungsraum lösen bei Kulturliebhabern Kammerflimmern aus. Klimaschutzgruppen wie die Letzte Generation zielen nun genau auf diesen Schwachpunkt.

Der letzte Kartoffelbrei
»Menschen hungern, Menschen frieren, Menschen sterben!« – Was klingt, wie eine Zeile aus einem Black Eyed Peas-Song, ruft eine junge Frau, auf der Ausstellungsfläche des Museums Barberini in Potsdam kniend. Hinter ihr tropft Kartoffelbrei von Monets Getreideschober. Sie kniet, weil sie ihre Hände mit Sekundenkleber an Boden und Wand festgeklebt hat. Ein junger Mann neben ihr tut es ihr gleich, schweigend. Sie waren es, die das Dosenpüree nur Sekunden zuvor auf das 130 Jahre alte Gemälde katapultiert haben. Beide tragen orangefarbene Warnwesten – das Erkennungszeichen der Klimaschutzgruppe die Letzte Generation.
Anderthalb Wochen vorher servierte die britische Klimaaktivistenorganisation Just Stop Oil Van Gogh Tomatensuppe: Die rote Flüssigkeit rann über seine weltberühmten Sonnenblumen in der Londoner National Gallery. In der Berliner Gemäldegalerie, im Frankfurter Städel, im Mauritshuis Museum in Den Haag und der Dresdner Gemäldegalerie ist es unlängst ebenso zu Klebe-Aktionen gekommen. Alle Gemälde blieben dank einer Glasabdeckung unversehrt.
Barberini-Direktorin Ortrud Westheider teilte nach der Kartoffelbrei-Aktion mit, dass das Museum vorübergehend ein paar Tage schließen und sich mit den Leihgebern der neuen Ausstellung kurzschließen wolle – aus Angst, was mit den Leihgaben der aktuellen Surrealismus-Ausstellung geschehen könnte.
»Fassungslos«, »Kulturbararei« – eine Welle der Empörung
Mit der Protestaktion hat die Letzte Generation die Achillesferse der Kulturlandschaft getroffen: Politiker wie der CDU-Abgeordnete Christopher Förster empörten sich: »Einziger Zweck dieser Gruppierung ist die Vorbereitung und Durchführung von Straftaten. Es gibt sogar Schulungen, wie man sich am besten festklebt und beim Eintreffen der Polizei vorgeht.« Manja Schüle von der SPD twittert: »Damit erweisen die Aktivisten dem Thema einen Bärendienst und zerstören willentlich unsere Kulturschätze.« Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) blieb »besonders fassungslos« zurück. Der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) deklariert das Ganze als »Kulturbarbarei«.
Der Pianist Igor Levit, der sogar schon einmal für Fridays for Future auf der Straße gespielt hat, twittert: »Wenn Du etwas Schönes bewahren willst, warum verletzt/zerstörst Du etwas Schönes? Wem wird geholfen? Die Kausalität will mir nicht in den Kopf.« Kurzum: Ein echter Aufreger. Auf eine so zerbrechliche Zielscheibe wie einen van Gogh oder Monet reagieren die Menschen schroff.
Das Konzept »Protest« lebt davon, dort anzugreifen, wo es wehtut. Und im Gegensatz dazu sieht die Letzte Generation ihre eigenen Aktionen selbst äußerst friedliebend. In der Pressemitteilung heißt es: »Durch friedlichen zivilen Widerstand stellen sich [entschlossene Menschen] schützend vor alles, was wir unwiderruflich zu verlieren drohen. Sicherheit, Frieden, Demokratie und nicht zuletzt auch die Kunst.«
Was hat das mit Klimaschutz zu tun?
Auf den ersten Blick haben die Bilder nicht viel mit dem Klimawandel zu tun. Ein Angriff auf die Bilder rettet auch nicht die Umwelt, schlussfolgern etwa die Twitter-Nutzer. Die taz interveniert, dass das Problem, wie so häufig, die »schwer verständliche Kommunikation« sei. Die Brücke von vermeintlichem Museumsvandalismus zur Aktivierung der Klimapolitik zu schlagen, gelingt nicht jedem auf Anhieb. Die Sprecherin der Gruppe, Aimée van Baalen, erklärt die Aktion mit einer Gegenfrage: »Wie kann es sein, dass so viele mehr Angst davor haben, dass eines dieser Abbilder der Wirklichkeit Schaden nimmt, als vor der Zerstörung unserer Welt selbst, deren Zauber Monet so sehr bewunderte?«
Das Gemälde gehört dem Multimilliardär Hasso Plattner. 111 Millionen Euro soll es ihm wert gewesen sein. »Doch dass Superreiche die Kulturschätze dieser Welt als Vermögensanlage benutzen, das finden nur sehr wenige skandalös« – meint die taz. Der Kunstmäzen selbst stellt recht schnell sicher, er und das Museum überlegen, wie sie die Sicherheit erhöhen können.
Kein Grund zur Aufregung
Einen Grund zur Aufregung gibt es, zumindest in diesem Ausmaß, eigentlich nicht. Das Museum Barberini teilte noch am selben Abend mit, dass der Getreideschober keine Schäden davongetragen hat: »Da das Bild verglast ist, hat es der umgehenden konservatorischen Untersuchung zufolge keinerlei Schäden davongetragen.«
Die Aktivistinnen und Aktivisten haben sich in allen Museen bewusst für die behüteten Exponate entschieden, weil es eben nicht ihre Absicht ist, das Kulturgut unwiederbringlich zu zerstören. Beliebt machen sie sich mit der Aktion trotzdem nicht. Als »Marketingaktion« wird der Kartoffelbrei-Eklat gehandelt. Immerhin taktisch klug war der Protest: laut, aber nicht destruktiv, wie erst angenommen. Die Aufmerksamkeit ist ganz auf ihrer Seite und zu Schaden gekommen ist niemand. Der britischen Klimagruppe Just Stop Oil bescherte die Suppenaktion sogar einen Geldsegen: Die Mitbegründerin des gemeinnützigen Climate Emergency Fund und Tochter des Öl-Tycoons Jean Paul Getty, Aileen Getty, spendete der Organisation eine Millionen US-Dollar.
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