Documenta fifteen – Zwischenfazit

Ruangrupa zum Antisemitismus

Die Weltkunstausstellung läuft noch 41 Tage. Mehr als die Hälfte ist um. Ist die Atmosphäre vergiftet? Das Kuratorenteam ruangrupa findet schon. Zwei Mitglieder des Kollektivs, Farid Rakun und Reza Afisina, äußerten sich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu den Antisemitismusvorwürfen.

15. August 2022
ruangrupa, v.l.n.r. Ajeng Nurul Aini, farid rakun, Iswanto Hartono, Mirwan Andan, Indra Ameng, Daniella Fitria Praptono, Ade Darmawan, Julia Sarisetiati, Reza Afisina, 2019,
Foto: Jin Panji
ruangrupa, v.l.n.r. Ajeng Nurul Aini, farid rakun, Iswanto Hartono, Mirwan Andan, Indra Ameng, Daniella Fitria Praptono, Ade Darmawan, Julia Sarisetiati, Reza Afisina, 2019

»Wir fühlen uns in die Enge getrieben«

Zwei Mitglieder der ruangrupa, des diesjährigen documenta-Kuratorenteams, Farid Rakun und Reza Afisina, sprachen am 13. August mit deer Süddeutschen Zeitung das erste Mal seit der Eröffnung über die Antisemitismus-Vorwürfe. Nachdem schon mehr als die Hälfte der Ausstellung vorüber ist, empfindet das Kollektiv die Atmosphäre der documenta fifteen als vergiftet.

Rakun und Afisiana räumen einerseits Fehler ein, auf der anderen dementieren sie, jemals antisemitisch gehandelt zu haben. Die Vorwürfe vom Januar, dass das Team der Israel-Boykottbewegung BDS nahestehe, weisen sie von sich – die BDS habe er, Afisiana, erst einmal googeln müssen. Die Vorwürfe seien inzwischen unverhältnismäßig: »Selbst wenn man dem anderen schon recht gegeben hat, gibt er keine Ruhe. Wir fühlen uns oft in die Enge getrieben«, wirft er vor. Rakun meint, die Gruppe sei von Anfang an auf Vorverurteilung gestoßen: »Wenn es nicht der Antisemitismus wäre, dann wäre es etwas anderes, das ist seit Januar klar und wird täglich klarer.«

Sie beteuern aber stringent, Antisemitismus entschieden abzulehnen, »genau wie jede andere Form der Unterdrückung und Diskriminierung.« Ihnen sei offenbar nicht klar gewesen, »wie roh hier noch die Erinnerung an den Krieg, an den Holocaust ist. Vielleicht hätten wir dem mehr Raum geben müssen.« Was den Eklat mit dem Werk People's Justice (2002) am Tag der Eröffnung angeht, gesteht Rakun: »Wenn wir das Bild gesehen hätten, hätten die Alarmglocken geklingelt.« 

Geschichtsschreibung als antisemitische Kunstschau

Dass es nun aber ein Gremium aus sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gibt, das die documenta in der kommenden Zeit begleiten und beraten soll, empfindet er als Bevormundung und Zensur: »Man kann es schönreden, genau das haben sie ja hier auch gemacht. Aber als wir zuerst in dem öffentlichen Statement davon gelesen haben, hieß es sehr wohl, dass sie das Recht haben, Werke zu entfernen und Künstlerinnen und Künstler auszuladen. Diese Angst bleibt.«

Außerdem fühlten sich Rakuns Aussagen zufolge einige Kunstschaffende nicht willkommen auf der documenta, weil sie durch 90-Tage-Visa immer wieder zu Ausreisen gezwungen seien. Manche von ihnen hätten auch Übergriffe erfahren – eine Seite der Veranstaltung, die ebenso nicht unerwähnt bleiben darf.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster bekennt sich in einer Pressemeldung am 28. Juli indessen fassungslos zum Umgang mit der antisemitischen Kunst: »Seit Wochen diskutiert dieses Land über Antisemitismus, BDS und Israelhass. Die Leitung der documenta tut weiter so, als ginge sie das nichts an. Offensichtlich ist es unerheblich, wer dort die Geschäftsführung innehat. Man muss sich fragen, wie weit wir in Deutschland sind, wenn diese Bilder als vermeintliche ‚Israelkritik‘ für gut befunden werden können. (...) Diese documenta wird als antisemitische Kunstschau in die Geschichte eingehen. (...) Dass diese documenta wirklich bis zum 25. September laufen kann, erscheint kaum mehr vorstellbar.« Er bezieht sich damit auf weitere antisemitische Bildsprache, die man erst Ende Juli auf ausgestellten Zeichnungen von 1988 entdeckte. 

Abhängen in angespannter Atmosphäre

Währenddessen setzt man das gemeinschaftliche Abhängen im Nongkrong hinter dem Fridericianum fort. Es dient als temporäres Wohnzimmer für einige der Gäste. Übernachtet wird im Schlafsaal, der für die Zeit der documenta in das Gebäude eingezogen ist. Das gemeinschaftliche Leben, Arbeiten und Feiern verkörpert den Geist der Gudskul, eine alternative Kunstschule, die die ruangrupa gemeinsam mit den anderen indonesischen Kollektiven Serrum und Grafis Huru Hara 2018 in Jakarta gegründet hat. Die Unterrichtseinheiten finden während der documenta in Kassel statt. Die Frankfurter Rundschau verleiht bei einem Besuch des Nongkrong einen lebhaften Eindruck vom gemeinschaftlichen Beisammensein. Der Leitspruch »Make friends not art« habe viel zum geplanten Aufbau des Ecosistems beigetragen. 

Ob die Atmosphäre nun endgültig vergiftet ist oder nicht, die documenta fifteen verläuft immer noch alles andere als unbeschwert und wird ganz sicher im Gedächtnis bleiben. Art.Salon

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