Luise von Rohden im Interview

Hast Du eine Lieblingsfarbe?

Diese Frage beantwortet Luise von Rohden mit einem klaren Nein, was nicht wirklich überrascht, denn ihre Werke sind stets auf ein Minimum reduziert.  Für ein gelungenes Werk kommt es ihr dabei ganz wesentlich auf die richtige Balance zwischen Präzision und Unregelmäßigkeiten an, wie sie uns im Gespräch erläutert.

von Marén Cohen Monroy, 29. July 2022
Luise von Rohden im Atelier
Foto: Lukas Meyer
Luise von Rohden im Atelier

Von Rohdens Tuschearbeiten scheinen zunächst einem stark geometrischen System zu folgen und erinnern dadurch an die Minimalisten der 1950er und 60er Jahre, beim genaueren Betrachten werden jedoch kleine Verschiedenheiten in der Linienführung sichtbar und der Entstehungsprozess tritt hervor. Was scheinbar maschinell oder mit Hilfsmitteln gefertigt scheint, ist tatsächlich ein manueller Prozess von zahlreichen Wiederholungen. Es wird dabei eine Linie nach der anderen mit der Hand aufgetragen, eine Schicht auf der nächsten. Ein kontemplativer Herstellungsprozess, der erst bei genauer Betrachtung der Arbeiten nachvollziehbar wird und eng mit dem Material verwoben ist. Die Künstlerin lässt mit ihren transparenten Tuschebahnen mehrere Ebenen und Überlappungen entstehen und schafft dadurch eine beeindruckende Tiefe. Indem Luise von Rohden minimale Imperfektionen zulässt, verleiht sie ihren Arbeiten unerwartete Lebendigkeit bei zugleich hoher Komplexität.

Luise von Rohden wurde 1990 in Gotha geboren. Sie studierte von 2009 bis 2015 Bildende Kunst und Kunstvermittlung an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, wo sie bis März 2022 als künstlerische Mitarbeiterin tätig war. Während eines Aufenthaltes in China 2013/14 studierte die Künstlerin, die seit 2018 auch Teil des Kollektivs Zusammenschluss für Raumfragen (ZfR) ist, traditionelle chinesische Tuschemalerei. Mit ihren Arbeiten eignet sie sich diese Jahrhunderte alte Technik an und übersetzt sie in die heutige Zeit.

Luise von Rohden Tuschezeichnung hd-m-2r-27-3
Luise von Rohden - hd m/2r 27/3, Zeichnung 2019, Tusche auf Papier, 78 x 58

Wie würdest Du Deine Kunst beschreiben?

In meinen Bildern fügen sich Pinselstriche zu einer Fläche zusammen. Striche und Strichkombinationen werden dafür wiederholt. So baut sich das Bild während des Malprozesses langsam auf: Ein Strich folgt dem anderen, Farbschicht um Farbschicht wird aufgetragen.

Meine Medien und Arbeitsmittel sind schon seit vielen Jahren Tusche, Pinsel und Papier. Durch die Wiederholung und die Begrenzung auf bestimmte Mittel reduziere ich meine Bilder: Für die meisten Blätter nutze ich jeweils nur einen Pinsel, häufig nur eine Verdünnungsstufe der Tusche. Die entstehende Fläche ist bisher immer ein Rechteck ... Durch diese Reduktion werden Kleinigkeiten wichtiger: Winzige Unregelmäßigkeiten fallen auf und prägen das Bild; zum Beispiel, wenn der Pinsel an einer Stelle die Tusche nicht ganz auf das Papier überträgt oder das Papier eine leichte Unregelmäßigkeit in seiner Struktur hat. Oder auch die verschiedenen Spuren der Pinselhaare beim Ansetzten und Absetzten des Pinselstrichs.

Tusche, Pinsel, Papier und Hand spielen nie ganz gleichmäßig zusammen. Gleichzeitig versuche ich möglichst präzise zu arbeiten. Ein gelungenes Bild hält die Balance zwischen Präzision und kleinen Unregelmäßigkeiten.

Wie fängst Du mit einer Arbeit an? Wie beginnt Dein individueller Prozess?

In meiner gesamten Arbeitsweise spielt die Wiederholung eine große Rolle. So beginne ich häufig, indem ich an eine schon vorhandenen Bildreihe anknüpfe, sie variiere oder etwas wirklich einfach wiederhole.

Manchmal frage ich mich, wie etwas wohl aussehen würde und spiele es dann durch. Es gibt viele Anfänge auf kleinen Blättern, die noch nicht zu etwas geführt haben. Oft liegen sie erstmal lange herum und irgendwann schmeiße ich sie weg. Manches bleibt mir im Kopf und erst Jahre später entstehen Bilder, die daran anknüpfen. Damit ich etwas weiterentwickle und ausarbeite, muss es passieren, dass ich plötzlich eine Möglichkeit darin sehe. Die Striche müssen zu mehr als nur aneinander gefügten Strichen für mich werden. Die Arbeit an einer neuen Bildreihe passiert also, indem ich etwas mache, es währenddessen und danach anschaue, möglicherweise etwas darin sehe und weitermache. Eine erahnte Möglichkeit wird dann im Machen herausgearbeitet, extrahiert und konzentriert.

Welche Mittel benutzt Du, um Farbe zu erzeugen und was fasziniert Dich daran?

Viele Jahre habe ich die Farbe komplett außer Acht gelassen und nur mit Grautönen – also schwarzer Tusche und Wasser gearbeitet. Das Grau der verdünnten Tusche hat natürlich auch schon eine Farbnuance. Um andere, zum Beispiel etwas kältere, blauere Grautöne hinzubekommen, standen schon lange farbige Tuschen zum Beimischen im Atelier.

Seit einiger Zeit verwende ich farbige Tuschen auch als kräftige Farben. Begonnen habe ich damit, sie auf dem Papier so übereinander zu legen, dass sich zum Schluss eine beinahe graue Bildfläche ergibt.

Ich mag es, mich einer Perfektion anzunähern und dann doch immer wieder an ihr zu scheitern. So habe ich zwar versucht, gelbe, rote und blaue Tusche so genau aufeinander abgestimmt zu verdünnen, dass sie übereinander geschichtet wirklich Grau ergeben. Manchmal ist es beinahe gelungen – allerdings nur, wenn die Bilder bei Tageslicht betrachtet werden. Andere Lichttöne bringen unterschiedliche Farbstiche hervor.

Farbe wird in meinen Bildern auch durch Schichtungen und Transparenz erzeugt. Das Weiß des Papiers scheint immer durch die Farbschichten hindurch und spielt damit eine wesentliche Rolle.

Was beeinflusst Deine Farbwahl?

Lange habe ich auf kräftige Farben verzichtet und höchstens mit leichten Abstufungen von Grautönen gearbeitet. Das war Teil der Reduktion, von der ich gesprochen habe. Wenn ich Möglichkeiten außer Acht lasse und mich beschränke, kann ich tiefer in die verbleibenden Möglichkeiten eintauchen. Meine Aufmerksamkeit und später die der Bildbetrachtenden kann sich bestenfalls umso mehr auf das, was nach der Reduktion übrigbleibt, konzentrieren.

Ich möchte, dass meine Bilder präzise und auf keinen Fall beliebig sind. Meine Bilder und Atelier-Prozesse sollen eine ihnen innewohnende Logik entwickeln, ohne dabei starren Konzepten zu folgen. Ich denke, mein Umgang mit Farbe steht noch ziemlich am Anfang. Immer wieder merke ich, dass eine Farbwahl sehr leicht beliebig werden kann. Deshalb habe ich mich ja so lange auf Grau beschränkt. „Was kann ich durch die Nutzung unterschiedlicher Farben erreichen?“, ist eine Frage, die ich mir gerade stelle.

Andererseits spielt auch hier das Anschauen der schon entstandenen Blätter eine Rolle und ein intuitives Sehen von Möglichkeiten. So hat mich beim Übereinander-Schichten von gelber, blauer und roter Tusche ein bestimmter Lila-Ton begeistert. Die dünnen, stark leuchtenden Linien schienen mehr Licht oder Sehfehler als wirkliches Material Farbe zu sein. Damit wollte und will ich weiterarbeiten.

Farbe, wie dieses Lila, beginnt erst wirklich zu leuchten, wenn es sich von einem anderen, danebenliegenden Farbton abheben kann. Das ist etwas, das ich schon vorher wusste und in Bildern anderer gesehen habe. Im eigenen Malprozess entdecke ich es aber gerade erst. Im Tun nähere ich mich momentan ganz grundlegenden Faktoren von Farbe und Farbsehen. Zum Beispiel, dass eine Farbe je nach der ihr benachbarten Farbe anders wirkt und ich so Farbübergänge sehe, wo keine sind. Ich hoffe, dass sich aus solchen simplen Beobachtungen neue Bildreihen entwickeln.

Luise von Rohden Tuschezeichnung Horizontale-5h-grb-lue-18-0
Luise von Rohden - Horizontale (5h grb/lü 18/0), Zeichnung 2022, Tusche auf Papier, 78 x 58 cm

Gibt es einen Künstler oder Kunstströmung, die Dich besonders geprägt oder beeinflusst hat?

Agnes Martin, Martin Assigs Bilder, Bridget Riley – auch ihre Texte, Interviews … Aufzählungen von Künstler*innen, die ich schätze und bewundere sind so schnell mal hingeschrieben. Aber bisher war es eher so: Ich habe meine künstlerische Position entwickelt – eher unbewusst geprägt und beeinflusst von Vielem (gesehene künstlerische Arbeiten, Gelesenes, stark auch mitgeprägt von Menschen um mich herum und Gesprächen mit ihnen…). Es ist ja nicht so, dass ich etwas sehe oder lese und mir dann denke „nach dem Konzept handle ich jetzt auch“. Vielmehr entwickle ich eine künstlerische Arbeit und die dadurch gemachte Erfahrung und Auseinandersetzung macht mir dann vielleicht das Werk eines Künstlers, die Haltung einer Künstlerin zugänglicher: Oft ist jemand anderem etwas Gelungen, nach dem ich selbst suche. Oder jemand hat etwas so gesagt/geschrieben, dass ich beim Zuhören/Lesen für etwas vorher noch nicht Ausformuliertes plötzlich Worte gefunden habe oder aber auch mich als Künstlerin und meine Arbeit hinterfrage.

In welchem Moment findest Du das Licht am schönsten?

Ich mag es sehr, dass sich das Tageslicht – seine Lichtstimmung, Farbigkeit, Intensität – verändert. Ich mag die Veränderung mehr, als einen bestimmten Moment. …  Ich mag lichtdurchflutete Räume und die Lichtstimmung, wenn es mittags draußen heiß und hell ist und drinnen das Licht durch helle Vorhänge in einen Raum fällt.

Was mir bei deiner Frage visuell gleich in den Kopf kam: Ich mag die Farbigkeit vom Abendhimmel, wenn die Sonne schon untergegangen ist, der Himmel aber noch leuchtend blau ist und zum Horizont hin in einen schmalen Streifen grün-gelb übergeht.

Luise von Rohden Tuschezeichnung mit Faltung hv2d-1-hv2d-gb-u-23-19
Luise von Rohden - Faltung hv2d 1 (hv2d gb/ü 23/19), Zeichnung 2022, Tusche auf Papier, 76 × 63 cm

Name: Luise von Rohden
Geburtsjahr: 1990
Geburtsort: Gotha
Wohnort: Leipzig
Instagram: @luisevonrohden
Website: luisevonrohden.de
Galerie: artnow Gallery

 Art.Salon

Deep dive:

Dive deeper into the art world

»Robert Frank: Mary’s Book« im Museum of Fine Arts Boston

Robert Frank war ein einflussreicher Fotograf des 20. Jahrhunderts. Das Museum of Fine Arts Boston stellt in Robert Frank: Mary’s Book ein ganz persönliches Fotobuch aus den jungen Jahren des Künstlers vor. Die Schau eröffnet am 21. Dezember.

21. December 2024
Erste Bronzeskulpturen von Mathias Kadolph

Die lebendig-dynamische und konzentrierte Formensprache des Bildhauers Mathias Kadolph manifestierte sich bislang vorrangig über sein Material, das Holz. Nun ließ er erstmals Miniaturen in Bronze gießen in einer Edition von je zwölf Skulpturen. Diese vermitteln essentielle Eindrücke seiner Formideen, öffnen sich facettenreich für neue Impulse unserer Wahrnehmung.

20. December 2024