Leh, Indien: 2. Edition von Südasiens höchstgelegener zeitgenössischer Land Art Ausstellung

»sā Ladakh«: über die Zukunft der immersiven Land Art

Vom 1. bis 10. Juni findet in Leh in Nordindien die zweite Edition der innovativen Land Art Ausstellung sā Ladakh statt. Nach einer äußerst erfolgreichen Premiere im letzten Jahr liegt der Fokus nun auf immersiven Kunsterlebnissen zum Thema Klimaoptimismus.

von Marius Damrow, 02. June 2024

Entlegene und faszinierende Berge kennzeichnen das Gebiet Ladakh im Norden Indiens, in dem die Kleinstadt Leh liegt. Mit einer Höhe von 3.500 m ist sie eine der höchstgelegenen Städte der Welt. Ab dem 1. Juni wird der Disko Valley Bike Park nahe Leh zum zweiten Mal Ort einer innovativen Kunstausstellung: sā Ladakh – Edition 2 widmet sich zeitgenössischer Land Art und ist somit die höchstgelegene Ausstellung seiner Art in Südasien. bedeutet Erde, Boden in der ladakhischen Sprache.

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Foto: sā Ladakh & Black Sheep Media House
»Glacier‘s Retreat« by Stanzin Tsepel (2024)

Nach dem großen Erfolg der ersten Edition von 2023 legen die Organisatoren diesmal den Fokus auf immersive Kunst. Ortsspezifische Installationen und Skulpturen, unter anderem von Li Actuallee, Jasmeet Dhillon, Kundan Gyatso, Margherita Moscardini, Angelina Kumar, Ikshit Pande und Tsetan Angmo, sind auf der sā Ladakh – Edition 2 zu sehen, die den Titel The Future of Immersive Land Art / Immersive Land Art and the Future trägt. Ziel von sā Ladakh sei es, mit Blick auf die künftige Generation das Bewusstsein für Klimaoptimismus und den internationalen Dialog zu erweitern.

»Die Art, wie die Themen Klima, Kunst & Nachhaltigkeit, Togetherness verbindet und die Menschen vor Ort mit ihren Themen einbezieht, ist smart und liebevoll. ist ein weiteres Beispiel dafür wie etwas mehr wird, indem man es teilt«, sagt die Hamburgerin Karla de la Barra, die sich seit diesem Jahr für die Ausstellung im Bereich »Kommunikation/Deutschland« engagiert. »Ein gutes Beispiel dafür ist die immersive Land Art Performance des deutsch-indischen Künstlerduo Neil Ghose Balser & Doyel Joshi. Dieser Beitrag, gefördert von der Deutschen Botschaft Neu-Delhi und Local Futures Ladakh, wird den Dialog mit über 50 Schülern der Mahabodhi Residential School über Natur, Kultur und Gemeinschaft sichtbar machen,« erläutert sie weiter.

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Bild: sā Ladakh & Black Sheep Media House
»Into the Pinke« by Doyel Joshi & Neil Ghose Balser (2024)

sā Ladakh wird als eines von nur 19 Projekten weltweit von der Gemeinschaft der europäischen Kulturinstitute (EUNIC) gefördert. In der diesjährigen Edition arbeiten die Veranstalter auch mit der gemeinnützigen Kunstinitiative museum in progress aus Österreich zusammen. Die Reihe raising flags des museum in progress, ein sich ständig erweiterndes Outdoor-Projekt, präsentiert in der Ausstellung Arbeiten unter anderem von Minvera Cuevas, Shilpa Gupta, Agnieszka Kurant und Erwin Wurm. sā Ladakh ist in den ersten Tagen ausschließlich für Schulworkshops geöffnet, vom 6. bis 10. Juni dann für die Öffentlichkeit. Weltweit sind auch die Menschen, die die Ausstellung nicht besuchen können, eingeladen, die Kunstwerke auf Instagram @saladakh zu entdecken.

Wir haben mit Raki Nikahetiya, einem von drei Gründern von sā Ladakh, über das Event und die Hintergründe gesprochen. Der interdisziplinäre Künstler stammt aus Sri Lanka, wuchs auch in Österreich auf und lebt heute in Indien.

Raki Nikahetiya
© Laurent Ziegler
Raki Nikahetiya

Herr Nikahetiya, im letzten Jahr fand die erste sā Ladakh statt. Würden Sie kurz erläutern, wie es zur Idee und Umsetzung des Projektes kam?

Raki Nikahetiya [RN]: In meiner frühen Kindheit in Sri Lanka wuchs ich im Schatten kolossaler, aus massivem Fels gehauener Skulpturen an historischen Stätten wie Polonnaruwa oder Anuradhapura auf. Auch nach Jahrhunderten schienen diese Skulpturen noch so bedeutend, so atemberaubend, scheinbar unbeeinflusst von Zeit und Mensch – ich verstand nicht, wie jemand etwas so zeitlos Monumentales ohne moderne Technik in einer natürlichen Landschaft erschaffen konnte.

Die Faszination für Land Art verstärkte sich in meiner Jugend in Österreich durch Dokumentarfilme über die Kunst von Andy Goldsworthy, die geoglyphen Nazca-Linien in Peru und die tragische Geschichte der Moai auf den Osterinseln. Bei sā – »Erdreich« in Ladakhi – war es Sagardeep Singh, der die Idee einer Zusammenarbeit initiierte. Sagardeep – der seit einigen Jahren als Interior Designer in Ladakh arbeitete – und ich hatten beide eine Leidenschaft für die Landschaften der Himalayas. Als wir nach einem Konzept suchten, kamen uns die Erinnerung und die Liebe zu Land Art wieder in den Sinn.

Die passende Gelegenheit bot sich, als die Gründer vom Diskovalley-Mountainbike-Park in Leh uns für eine Ausstellung auf ihrem 22 Hektar großen Veranstaltungsort in 3600 m Höhe anfragten. Ursprünglich wollten Sagardeep und ich eine gemeinsame Land Art Installation erschaffen, aber sehr schnell wurde uns bewusst, dass die 22 Hektar viel besser als kollektiver Ausstellungsraum geeignet wären, der auch andere Künstler einlädt. Dr. Monisha Ahmed, die Gründerin der Ladakh Arts und Media Organisation, war von Beginn an eine wichtige Unterstützerin von sā und ermöglichte den Zugang in die Ladakhi Kunstgemeinschaft.

Zu dem Zeitpunkt kam Tenzin Jamyang aus Ladakh ins Gründungsteam, ein renommierter hochalpiner Kletterer und Gründer des Suru Outdoor Festivals. Jamyang hatte die Idee, das Kunst-Konzept mit Klimaschutz zu verknüpfen, da er auf seinen Expeditionen hautnah miterlebte, wie sich die Auswirkungen des Klimawandels in hochgelegenen Regionen verschärften. Das war der Anfang: drei Freunde mit unterschiedlichen Backgrounds, aber mit der gleichen Vision und Passion. All unsere bisherigen Erfahrungen kamen zusammen: Land Art in Verbindung mit Klima, Kultur und Community.

Welche Ergebnisse haben Sie aus sā von 2023 mitgenommen und wie beeinflussten diese das Konzept der diesjährigen Ausstellung?

RN: sā als Konzept ist ein unaufhörliches Lernen, aus Erfolgen und vor allem aus Rückschlägen. Wir streben nicht nach Perfektion im künstlerischen Prozess, sondern nach einem gemeinsamen Austausch, Unterstützung und Lernen. Wir nahmen viel aus der Edition 1 von 2023 mit, vor allem Fragen. Wie können wir besser mit der Umwelt agieren? Wie wollen wir Kunst erschaffen, welche Materialien und Prozesse sollten wir nutzen und weshalb? Wie sollen wir digital und mit der Gemeinschaft vor Ort kommunizieren und wie können wir diese besser miteinbeziehen?

Wir wollten zugleich auch eine Plattform schaffen, die Künstler nicht nur zusammenbringt, sondern auch ein unterstützendes Netzwerk aufbaut, das Sicherheit, künstlerische Freiheit und Support bietet, auch nach der Ausstellung. sā wurde aus Leidenschaft und Liebe für Landschaften, Umwelt und Gemeinschaft gegründet, mit dem Ziel, Menschen aus allen Gesellschaftsschichten einzubeziehen – insbesondere die nächste Generation, die zukünftigen Hüter des Landes.

sā – Edition 2 legt den Fokus auf immersive Kunsterlebnisse, die sehr gefragt sind. Welche neuen Aspekte und Anregungen wollen Sie mit sā vermitteln?

RN: Seit Beginn basieren die Werte von sā auf den Prinzipien des Klima-Optimismus. Wir möchten durch immersive Werke verschiedene Sinne ansprechen, aber vor allem durch nachhaltige Kunst einen interkulturellen, generationsübergreifenden und interdisziplinären Austausch, sowie Wertschätzung für und Sorge um die natürliche Welt anregen.

In der Land Art ist dies vielleicht eine neue Herangehensweise, die wir mit Künstlern, Institutionen und anderen Initiativen teilen wollen. Nach den gesammelten Erkenntnissen im Vorjahr verstehen wir nachhaltige Kunst als Kunst, die aus recycelten, lokalen, erneuerbaren, biologisch abbaubaren oder wiederverwendbaren Materialien hergestellt werden kann. Kunst ist für uns nachhaltig, wenn sie keine negativen Auswirkungen auf die physische und kulturelle Umwelt hat, wenn sie von der Gemeinschaft wiederverwendet werden kann oder transportfähig ist und woanders ausgestellt werden kann.

Nachhaltige Kunst bezieht alle Menschen mit ein, respektiert Vielfalt und Inklusion und sensibilisiert für Klimalösungen auf lokaler und globaler Ebene.

Auffällig ist, dass die Ausstellung fast genauso lange für Schulworkshops vorgesehen ist, wie sie öffentlich zugänglich ist. Konnten Sie sich schnell auf diese Aufteilung einigen und welches Signal wollen Sie der Kunstwelt damit senden?

RN: Wenn wir an unsere eigene Schulzeit denken – welche positiven Erinnerungen kommen hoch? Vielleicht nicht die Zeit im Unterrichtsraum, aber Ausflüge oder Wandertage. Als ich klein war und wir in Sri Lanka lebten, kam mein Vater oft von der Arbeit mit selektiv gesammelten Blättern nach Hause und spielte mit mir ein Spiel, bei dem wir verschiedene Pflanzen identifizierten. Ich erinnere mich, dass wir fast täglich spielten, und wir verbrachten viel Zeit zusammen im tropischen Garten meiner Großeltern und beobachteten das Leben im Dschungel, im Unterholz und im Blätterdach. Ich glaube, das hat mir eine tiefe Verbindung und Liebe zu Land und Natur gegeben.

Jamyang und Sagardeep haben ähnliche Erfahrungen gemacht und wir waren uns schnell einig, dass vor allem Kinder in diesen frühen Jahren eine Bindung, Wertschätzung und Respekt für Natur und Land aufbauen. Für uns ist Land Art mehr als nur Kunst in der Natur – wir glauben, es ist ein Weiterlernen oder Neulernen, wie wir unsere Umwelt und unseren Platz in ihr sehen.

Durch Klima-Optimismus möchten wir deshalb die Jugend ansprechen, indem wir Workshops und Besuche an Orten anbieten, die nicht nur nachhaltige Lösungen für die Probleme des Klimawandels im 21. Jahrhundert bieten, sondern Kindern, Teenagern und Interessierten auch einfach die Möglichkeit geben, durch die Kunst in der Natur zu sein – wir hoffen, den Schülern durch diese Möglichkeit Wertschätzung und Erinnerung mitgeben zu können. Auch wir lernten viel von den Studenten – mit den Himalayas als Kulisse fühlt man sich klein und unbedeutend, aber auch als ein Bestandteil der Gesamt-Landschaft und man erlernt eine neue Verbundenheit zur Natur – wir wollen diese Erfahrung und das Gefühl gerne mit der Kunstwelt aber auch mit anderen Disziplinen in Indien und weltweit teilen.

Wie zufrieden sind Sie mit der Resonanz, sowohl vor Ort als auch digital?

RN: Wir haben kürzlich die Pressezahlen durch unseren Partner, die deutsche Botschaft in Indien, erhalten: wir hatten einen Reach von 815 Millionen in diesem Jahr – eine unwahrscheinlich hohe Zahl, die organisch entstanden ist. Wir sind natürlich sehr stolz darauf, aber wir wollen langsam wachsen und unsere Gemeinschaftsprinzipien nicht verlieren. In den vier Ausstellungstagen vor Ort hatten wir 2.000 vor allem lokale Besucher. Keine hohe Zahl, aber genau richtig, da wir auch nachhaltig arbeiten wollen in Bezug auf die Tragfähigkeit in Ladakh, das sehr vom Massentourismus betroffen ist. Deswegen sind wir wahrscheinlich kein typisches Event, da wir nicht immer mehr Besucher vor Ort wollen, sondern nur eine bestimmte Zahl, die keinen negativen Impact in der Region hinterlässt. Dafür arbeiten wir auch mit lokalen Partnern, wie zum Beispiel Local Futures, die nachhaltigen Tourismus fördern und uns beraten.

Wie wirkte sich Ihre neue Erfahrung als Mitgründer von sā auf Ihre eigene künstlerische Tätigkeit aus?

RN: Sehr stark. Die teilnehmenden Künstler, aber auch die Volunteers, Unterstützer und ich, denken seit sā viel mehr über unsere eigenen Arbeiten nach und wie wir nachhaltiger arbeiten können. Es öffnete mir auch die Augen, wie stark ein Netzwerk sein kann, wenn es mit Ehrlichkeit, Mitgefühl und guter Kommunikation aufgebaut ist und wie bereichernd es ist, durch einen interdisziplinären Zugang in der Kunst Neues zu erlernen und andere Weltanschauungen erfahren zu können.

Meine Land-Art-Installation im letzten Jahr trug den Titel »For A Fifty Million Years«. Für dieses Werk verwendete ich lokale Erde und erlernte Rammed earth (Stampflehm) als nachhaltige Bauweise. Unsere Geschichte ist schon seit Anbeginn mit der unserer Landschaften verflochten. In den letzten 50 Millionen Jahren schuf die Kollision der indischen und eurasischen tektonischen Platten ein sich noch immer bildendes Massiv – das höchste und zugleich jüngste Gebirge auf der Erde: die Himalayas.

Was wollen wir in den kommenden Äonen hinterlassen? Das Bauen mit der Erde der Himalayas regte mich dazu an, über Zeit, unsere Landschaften, unsere Ursprünge, unsere Identität, unsere Bedeutungslosigkeit und über unsere Bedeutung in Bezug auf Umwelt und Raum zu reflektieren. Dieses Jahr entfernte ich mein Werk: »For A Fifty Million Years« wurde wieder zu Erde, wieder ein Teil des sich bildenden Massivs und schuf Platz für neue Kunst, Ideen und Künstler.

Anm.: Die Bilder des diesjährigen Projektes haben wir am 25. Juni und das Interview sowie das Bild von Raki Nikahetiya am 23. Juli ergänzt.Art.Salon

sā Ladakh - Edition Two - Jungwa 5 by Urgain Zawa
Bild: sā Ladakh & Black Sheep Media House
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