Neue Kunstmesse 2023: Tokyo Gendai

Gamechanger in Japan?

Gespannt erwartet die Kunstwelt den Juli 2023: Dann eröffnet mit Tokyo Gendai eine neue Kunstmesse, die den Markt in Asien erheblich beeinflussen könnte – wenn sie erfolgreich ist. Bis zu 100 internationale Galerien nehmen an der Premiere teil.

von Marius Damrow, 28. November 2022

Tokio ist nach New York die zweitreichste Stadt der Welt. Damit ist die Gegend um die japanische Hauptstadt ein idealer Ort für Kunstmessen. In Yokohama, einer direkten Nachbarstadt, eröffnete 1992 die Nippon International Contemporary Art Fair als erste große ihrer Art in Asien. Der Erfolg war jedoch überschaubar, da die japanischen Besuchenden in den 90ern die Messen eher als Ausstellungs- denn als Handelsort ansahen. Seit 2005 gibt es die Art Fair Tokyo, die von der zwischenzeitlich veränderten Einstellung zu Messekäufen profitiert. Der asiatische Kunstmarkt wächst seither rasant.

Tokyo Skyline

Neue Kunstmessen in Ostasien

Im September 2022 feierte die Frieze Seoul ihre Premiere. Sie ist bei weitem nicht die einzige neue Kunstmesse in Ostasien. Im Januar 2023 ist in Singapur die erste Ausgabe der ART SG zu sehen, die wie die Toyko Gendai (jpn. Gegenwart) zur Art Assembly gehört. Darin spiegeln sich die enorme Expansion des asiatischen Kunstmarkts und das gestiegene Interesses ostasiatischer Sammler an internationalen Kunstwerken wider. Bei den Auktionshäusern Christie’s und Sotheby’s kam 2021  etwa ein Drittel der Käufer von Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts  aus asiatischen Ländern, Tendenz steigend.

Besonders auf Japan richtet sich dabei der Fokus: Der Geschmack japanischer Kunstsammler ist schon lange richtungsweisend für ostasiatische Länder. Jüngste Steuererleichterungen für örtliche Kunstgalerien und Auktionshäuser und eine neue junge Sammlergeneration, die wesentlich internationaler denkt, unterstreichen Japans Position. Magnus Renfrew, Mitbegründer der Art Assembly, weist auf die bei Japanern allgemein außergewöhnliche Sammeltradition hin, die auch auf dem Kunstmarkt spürbar ist.

Tokyo Gendai schließt Lücke

Eine weitere Kunstmesse in Japan zu eröffnen, scheint wegen des gesättigten Marktes obsolet. Doch der Schein trügt. Ostasiatische und speziell japanische Messen bieten zum großen Teil Kunstwerke in mittleren Preissegmenten an. Verkäufe zu mehreren Millionen US-Dollar, wie sie häufiger auf der Art Basel oder Frieze London vorkommen, sind hier selten. Tokyo Gendai will diese Lücke schließen und japanischen Sammlern solche weiten Reisen ersparen – beziehungsweise ausländische Sammler nach Tokio locken.

Yasuaki Ishizaka, Sotheby’s Managing Director für Japan, weist auf die Reichweite japanischer Kunstsammler und deren Wunsch hin, prestigeträchtige Kunstwerke berühmter Künstler zu kaufen. 2022 etwa kaufte ein japanischer Sammler bei Sotheby’s ein Warhol-Selbstporträt für fast 15,5 Millionen US-Dollar. Zu den Top-Sammlern der Welt zählen vergleichsweise viele Japaner wie Takeo Obayashi, Hiroshi Taguchi, Miwa Taguchi-Sugiyawa und Tadashi Yanai.

Andy Warhol

Self Portrait

Found at Sothebys, London
Modern & Contemporary Evening Auction, Lot 110
22. Jun - 29. Jun 2022
Estimate: 12.000.000 - 18.000.000 GBP
Price realised: 12.737.500 GBP
Details

Die Direktorin der Tokyo Gendai, Eri Takane, zeigt sich ähnlich vorfreudig: »Eine Kunstmesse dieser Größenordnung wurde in Japan schon lange erwartet [...]. Die Tokyo Gendai wird ein wichtiger Knotenpunkt für asiatische und westliche Galerien sein und gleichzeitig Sammlern und Besuchern die Möglichkeit bieten, nicht nur außergewöhnliche zeitgenössische Kunst zu entdecken, sondern auch in die japanische Kultur einzutauchen.«

Dunkle Seiten der Expansion

Tokyo Skyline

Das rasante Wachstum hat auch seine negativen Seiten, wie Satoru Arai betont. Arai ist Direktor der Gallery COMMON, die sich in der Nähe des Tokioer Bahnhofs Harajuku befindet, einem Zentrum der Mode- und der Street-Art-Szene. »Es gibt ein bestimmtes Segment des Kunstpublikums, das durch die Aussicht auf Gewinn durch schnellen Wiederverkauf motiviert ist«, sagte er. »Im Hinblick auf die Erweiterung des Marktes ist es nicht schlecht, eine neue Kundschaft zu begrüßen, aber die Wiederholung des schnellen Wiederverkaufs und die Preisinflation auf dem Sekundärmarkt werden nur zu kurzlebigen Künstlerkarrieren führen.«

Japanische Kunstmessen legen großen Wert auf die Repräsentation lokaler Kunstschaffender – ein Grund, warum die Preise nicht die Spitzenwerte der berühmtesten Messen erreichen. Die Hoffnung der Art Assembly ist, dass durch das Locken internationaler Galerien nach Tokio die regionale Kunstszene neu entdeckt, in andere Länder getragen wird und stabile, langfristige Künstlerkarrieren hervorbringen kann. Sie versucht, die Galerien zu den Künstlern zu bringen, statt umgekehrt. Dies könnte der Gamechanger für zeitgenössische japanische Kunst sein.Art.Salon

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