Gespräch mit Verónica Lehner

Die Materialität der Farbe

Verónica Lehner bringt wortwörtlich die Farbe in den Raum. Indem Sie Skulpturen aus Farbe schafft, bewegt sie sich zwischen den Medien Malerei und Bildhauerei. Im Interview mit Art.Salon spricht die Künstlerin über die Raumwirkung von Farbe und warum zufällig gefundene Gegenstände eine ideale Basis für ein Kunstwerk darstellen.

von Marén Cohen Monroy, 10. August 2022
Veronica Lehner im Atelier
Verónica Lehner im Atelier

Verónica Lehners experimentelle Arbeitsweise spiegelt sich in der Vielschichtigkeit ihrer Werke wieder: So hängt die Künstlerin beispielsweise lange Bahnen aus elastischer Acrylfarbe in den Raum und schafft damit fast stofflich wirkende Installationen, die mit ihrer starken Farbgebung in Grüngelb, Lachs oder Schwarz in einem selbstbewussten Verhältnis zu ihrer Umgebung stehen. Ein anderes Mal zeigt Verónica Lehner elastisch-weiche Farbe, welche um geometrische Stahlteile drapiert wurde und fast mit diesen zu schmelzen scheint. Dieser Eindruck des Fragilen, als ob sich das Werk in jedem Moment auflösen oder verändern könnte, zieht sich durch ihr gesamtes Oeuvre.

Es ist daher konsequent, dass die Künstlerin mit ihrer jüngsten Werkserie die Spuren des Entstehungsprozesses ihrer Arbeiten in den Fokus rückt. Dabei bespannt sie großformatige Leinwände mit einem kleinen Rahmen, sodass an den Seiten lange Ränder entstehen. Das Stück Leinwand wird bemalt, dann der Rahmen an eine andere Stelle der Leinwand verrückt und anschließend der neu entstandene Werkgrund bemalt. Durch diesen Prozess entstehen mehrere Gemälde auf einer Leinwand, welche in einer engen Beziehung zueinander stehen, die zahlreichen Spuren der Bearbeitung auf den Gemälden machen dabei die Herstellungsschritte sichtbar. Auf diese Weise hinterfragt Verónica Lehner mit ihrer Werkserie die räumlichen, als auch die ideologischen Grenzen eines Gemäldes.

Die 1980 in Cali, Kolumbien, geborene Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin, wo sie 2009 ihren Master in Raumstrategien an der Kunsthochschule Weißensee absolvierte. Sie hat an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland, Kolumbien, den USA, Südkorea und Frankreich teilgenommen.

Veronica Lehner Gemälde Intersecciones 4
Verónica Lehner - Intersecciones 4, Gemälde 2019, Acryl auf Leinwand, 130 x 200 cm

Wie würdest Du Deine Kunst beschreiben?

In meinen Arbeiten erforsche ich hauptsächlich den Raum und dessen Beziehung zum Materiellen und Bildlichen. Ich mache eine Art erweiterte Malerei, die auf räumliche Aspekte wie beispielsweise die Architektur oder den Körper trifft, und spiele dabei mit verschiedenen Materialien wie der Farbe selbst, gefundenen Objekten, Keramik, Glas und Metall. In meiner Arbeit versuche ich mit dem Material zusammenzuarbeiten und von ihm geführt zu werden, um die Malerei ständig neu zu denken und andere Prozesse zu entdecken.

Wie fängst Du mit einer Arbeit an? Wie beginnt Dein individueller Prozess?

Für mich ist der erste Schritt normalerweise das Kennenlernen des Raumes. Dabei sind Aspekte wie die Materialität des Raumes wichtig, wie auch die Atmosphäre und die Beziehung zum Körper. Das ist besonders wichtig, wenn ich im öffentlichen Raum oder am Ausstellungsort arbeiten kann und die Arbeit sich davon ableitet, aber ich versuche auch die Materialität des Ateliers in die Arbeit miteinzubeziehen.

Welche Mittel benutzt Du, um Farbe zu erzeugen, und was fasziniert Dich daran?

Dabei kann es sich um einen Prozess der Zugabe, aber auch der Extraktion des Materials handeln. Ich habe Arbeiten gemacht, in denen ich mit Farbe auf Leinwand gemalt habe, aber auch andere, in denen ich die Farbe, die bereits auf den Wänden war, mit einer Leinwand und Kleber entfernt habe. In diesem Fall war es wie eine Art »Diebstahl« der Farbe, der auch die unteren Farbschichten durchscheinen ließ. Außerdem wurde die Arbeit skulpturaler, in dem sich andere Materialien wie Beton oder Gips, also Teile der Wand, an den Stoff geklebt haben. In anderen Werken habe ich die Farbe vollständig vom Träger getrennt, sodass sie sich im Laufe der Zeit durch die Schwerkraft oder sogar durch einen Beschwerungsmechanismus verändert hat.
Während des künstlerischen Prozesses finde ich es faszinierend, wie die Farben die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und wie sich die Blicke zwischen dem Betrachter und dem Material kreuzen. Es gibt viel Performativität in Farbe. Andererseits finde ich es auch faszinierend, wie eine Farbe zur anderen aufruft und so ein ständiger Fluss von möglichen Farben entsteht. Es überrascht mich immer wieder, wie sich eine Farbe, wenn sie über eine andere gelegt wird, verändert und wenn man Teile einer Farbe vom Untergrund entfernt, die darunter erscheinenden Farben das gesamte Bild verändern.
Ich finde es auch sehr interessant, dass man im Deutschen, anders als im Spanischen, nicht zwischen der Farbe und dem flüssige Material Farbe unterscheidet, denn manchmal denke ich, dass Farbe an sich ein Material ist.

Was beeinflusst Deine Farbwahl?

Meine Farbauswahl wird hauptsächlich von den Farben beeinflusst, die sich bereits im Raum befinden: Spuren früherer Arbeiten; die Farbe von Materialien, die im Atelier zurückgelassen wurden, wie Klebeband oder Stoffe; die Farben, die erscheinen, wenn die Wandfarbe heruntergenommen wird; die Farben, die ich auf dem Weg zum Atelier wahrnehme, zum Beispiel von Gebäuden oder von den Spuren, die Menschen an den Wänden hinterlassen. Ebenso rufen Farben, wie gesagt, immer andere Farben durch Assoziationen hervor. Zum Beispiel Komplementärfarben beziehen sich aufeinander oder die leuchtenden Farben in der Werbung rufen schmutzige Farben hervor, die im Kontrast zu ihnen stehen.

Gibt es einen Künstler oder Kunstströmung, die Dich besonders geprägt oder beeinflusst hat?

Es gibt viele Künstler, die meine Arbeit in verschiedenen Phasen meines Lebens beeinflusst haben. Einer der ersten war der kolumbianische Künstler Danilo Dueñas, der mein Professor an der Universität in Kolumbien war. Er arbeitet mit gefundenen Objekten und stellt Beziehungen zwischen Malerei und Raum her; oder vielleicht sollte man besser sagen, er stellt Beziehungen zwischen der Malerei, ihrer Materialität und der Welt um uns herum her. Daniel Burens frühe Arbeiten, in denen er die Malerei in ein visuelles Werkzeug verwandelt, das in den öffentlichen Raum eingefügt wird, waren auch der Auslöser für einige der Ideen zur Malerei, mit denen ich mich beschäftigt habe (insbesondere als ich meine Masterarbeit »Raumstrategien« an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee über malerische Prozesse als Raumstrategien schrieb). Der flüchtige und prozesshafte Charakter der Arbeit von Prof. Bente Stokke, hat mich damals ebenfalls stark beeindruckt. Ich interessiere mich sehr für die Arbeiten von Hélio Oiticica, der die Malerei mit der Architektur, aber auch mit dem Körper und dem Kontext in Verbindung bringt, sowie für die organischen und materialreichen Arbeiten von Eva Hesse und Delcy Morelos. In der letzten Zeit, in der ich mich mit der Performativität der Malerei beschäftige, habe ich die Arbeit von Nina Canell aufmerksam verfolgt, die nicht nur den Prozess, sondern auch die Materialität von Objekten und Räumen betont und sichtbar macht.

Wie sollen die Farben Deiner Arbeiten wahrgenommen werden?

In meiner Arbeit funktionieren Farben nicht auf symbolische Weise. Es ist eher ein materieller, konkreter Prozess, als die Erzeugung von Bedeutung oder Narration.

Welche Farbe hat Deine Welt?

Meine Welt hat keine bestimmte Farbe, sicher ist nur, dass der Ort, an dem ich mich befinde, einen großen Einfluss auf die Farbe meiner Arbeit hat.

In welchem Moment findest Du das Licht am schönsten?

Es hängt davon ab, was ich tue, aber ich denke, dass jedes Licht, jede Jahreszeit oder Tageszeit sehr spezifische Eigenschaften hat, die sehr interessant sein können und verschiedene Aktionen auslösen. Aber es fällt mir definitiv leichter, aus dem Bett zu kommen, wenn es sonnig ist!

Hast Du eine Lieblingsfarbe?

In letzter Zeit habe ich mit fluoreszierenden Farben experimentiert und sie mit warmen und kühlen Grautönen kombiniert. Das ändert sich aber schnell, je nachdem, wo ich bin und welche Farben mir begegnen.

Wenn Du keine Künstlerin wärst, dann wärst Du…?

Eigentlich wollte ich als Teenager ein berühmter Rockstar werden... aber naja... Wahrscheinlich wäre ich besser für einen Beruf wie den eines Wissenschaftlers geeignet gewesen, der, wie der Künstler, sehr stark auf Beobachtung, Wahrnehmung und Erfahrung der Welt um sich herum basiert. Ich bin ein ziemlich neugieriger Mensch. Aber ich bin auch ein Mensch, der gerne mit anderen zusammen ist. Daher ist es immer schön, Kunst und Pädagogik abzuwechseln.

Name: Verónica Lehner
Geburtsdatum: 12.10.1980
Geburtsort: Cali, Kolumbien
Wohnort: Berlin
Instagram: @veronicalehner
Website: www.veronicalehner.info

Art.Salon

Veronica Lehner Installation Site-ing
Verónica Lehner - Site-ing, Skulpturale Installation 2022, Acylfarbe, 8 x 1,30 x 3,50 m
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