Till Schermer

Portraits einer mentalen Gesellschaft

Ist unsere Persönlichkeit nur eine Illusion? Die Malereien von Till Schermer eröffnen eine neue Perspektive auf die fragmentarische Psyche des Menschen. In intensiven, mitunter irritierenden Bildern lässt der Künstler die Akteure unserer mentalen Gesellschaft auftreten – vielleicht ein Aufbruch zu einem Abenteuer für den eigenen Verstand.

von Felix Brosius, 26. November 2024
Till lSchermer - Studie des weichen Kopfes Nr. 1
Till Schermer: Studie des weichen Kopfes Nr. 1 (2023), Öl auf Leinwand

Die Malereien des in dem 10.000-Einwohner-Örtchens Zwenkau lebenden Künstlers Till Schermer wirken auf den ersten Blick krass, mögen einzelne Betrachter gar verschrecken, ganz so, wie man auch beim Blick auf manche Gedanken, Stimmungen und Eigenschaften der eigenen Persönlichkeit mitunter vor sich selbst erschrecken kann. Dabei ist die Persönlichkeit eines Menschen als kohärente Einheit aus Sicht von Schermer ohnehin nichts anderes als eine Illusion, ein fiktives Konstrukt, erschaffen, um uns ein lebensfähiges Selbstbild zu kreieren. Denn für ihn ist es nicht die Persönlichkeit eines Menschen, die dessen Gedanken, Gefühle und Ideen steuern; vielmehr sind es genau umgekehrt diese psychologischen Prozesse, die jeweils eine eigene Persönlichkeit besitzen, einen Willen haben und darauf drängen, gesehen, verstanden und in Handlungen überführt zu werden. Die Gesamtheit all dieser nebeneinander existierender und um Aufmerksamkeit ringender Items bezeichnet der Künstler als mentale Gesellschaft und der Konsens, auf den sie sich einigen, ist das, was wir als menschliche Persönlichkeit wahrnehmen.

Till Schermer - Woher kommt der Sinneswandel
Till Schermer: Woher kommt der Sinneswandel? (2024), Öl auf Leinwand

In seinen Gemälden verleiht Schermer den Protagonisten der mentalen Gesellschaft Ausdruck, spürt so ambivalenten und komplexen Phänomenen wie dem Sinneswandel, dem Ursprung der Sprache, dem motorischen Nukleus oder einer Konkretisierung ohne Verständnis nach. Er macht damit die Fragmente der menschlichen Psyche – in seinem Verständnis wohl ihre prägenden Bausteine – sichtbar und spürt ihren Ursprüngen und Verästelungen in vielfältigen Richtungen nach. Jede Visualisierung kann hier naturgemäß nur eine von vielen denkbaren Näherungsweisen sein, ein Anstoß zu Reflexion und Selbstbeobachtung, die zu neuen Perspektiven auf das eigene Ich und die Mitmenschen führen können.

Till Schermer - Motorischer Nukleus
Till Schermer: Motorischer Nukleus (2023), Öl auf Leinwand
»Jeder Gedanke hat sein eigenes, oft unerfülltes Leben.«
Till Schermer - Konkretisierung ohne Verständnis
Till Schermer: Konkretisierung ohne Verständnis (2023), Öl auf Leinwand
Till Schermer - Ursprung der Sprache
Till Schermer: Ursprung der Sprache (2023), Öl auf Leinwand

Mehr über den Künstler: Artist Page von Till SchermerArt.Salon

Dive deeper into the art world

Stefan Stichler

Stefan Stichler entführt uns mit seinen Gemälden in eine Welt voller Rätsel und Ambivalenz. Seine mehrdeutigen Erzählungen sind wie moderne Märchen, deren Ende so lange offen bleibt, bis der Betrachter es selbst formuliert.

von Felix Brosius, 01. October 2024
Berlin: Retrospektive von Nan Goldin in der Neuen Nationalgalerie

Mit einer umfassenden Ausstellung würdigt die Neue Nationalgalerie Nan Goldins Werk aus den letzten 45 Jahren. Die Fotografin eroberte mit ihrer Schnappschuss-Ästhetik die Kunstwelt und gilt als eine der einflussreichsten Künstlerinnen unserer Zeit. Nan Goldin: This Will Not End Well ist ab dem 23. November in Berlin zu sehen.

22. November 2024