I walk alone
Die britische Künstlerin Nina Mae Fowler ist bekannt für ihre mitunter großformatigen, zumeist in Schwarzweiß gehaltenen Bleistift- und Kohlezeichnungen. Ihre Arbeiten zeigen oftmals prominente Schauspielerinnen und Schauspieler in außergewöhnlichen, schicksalhaften, häufig tragischen Momenten. Zu ihren herausragenden Arbeiten zählen komplexe Kompositionen, in denen sie Motive unterschiedlichster Zeit- und Erzählebenen in einer Szenerie zusammenführt – aufwändige Werke, die sich über eine längere Zeit entwickeln und daher selten und begehrt sind. Nun hat Fowler mit I walk alone mal wieder ein solches Meisterwerk vorgelegt.
I walk alone
I walk alone – eine zeichnerische Collage über die tragische Ambivalenz des Ruhms prominenter Schauspieler. In der fiktiven Szenerie führt Fowler Stars der 1940er bis 70er Jahre in einem bühnenhaften Tableau zusammen, verbunden durch den Kampf um Selbstbehauptung in einem durch Prominenz fremdbestimmten Leben. Zu sehen sind Talullah Bankhead in einer vergifteten Umarmung durch Hedda Hopper, Marlene Dietrich, kauernd verborgen vor fremden Blicken, Douglas Fairbanks Jnr., anonym auf der Flucht, und Anita Ekberg in einer vermeintlichen Abwehrpose mit Pfeil und Bogen, bei denen es sich aber doch nur um die Reflexion der Blitzlichter von Paparazzi handelt.
Die Künstlerin Nina Mae Fowler
Nina Fowler hat ihre künstlerischen Wurzeln in der Bildhauerei, ist heute aber vor allem für ihre ausdrucksstarken, oftmals in Schwarzweiß gehaltenen Bleistift- und Kohlezeichnungen bekannt. Ihre Arbeiten zeigen oftmals prominente Schauspielerinnen und Schauspieler, die von Fowler zumeist in außergewöhnlichen, schicksalhaften, häufig tragischen Momenten eingefangen werden. Viele der Motive stammen aus Filmszenen und präsentieren somit vordergründig den Schauspieler in seiner Rolle. Allzu oft scheinen die gespielten Rollen aber auf tragische Weise das Leben der Darsteller zu spiegeln, und so lassen sich die auf Film-Stills basierenden Zeichnungen auf einer zweiten Erzählebene als Reflexion persönlicher Schicksale der Prominenten lesen.
Fowler lenkt unseren Blick damit unter die glamouröse Oberfläche der Film-, Musik- und Modewelt, wie wir sie heute als globales Phänomen durch die Augen vieler Millionen Kameras in Echtzeit verfolgen können, und ruft uns die verborgenen inneren Konflikte in dem scheinbar perfekten Leben eines Stars ins Bewusstsein. Dabei ist die Erkenntnis, dass auch ein nach außen hin glanzvolles Leben eine dunkle Kehrseite haben kann, die über lange Zeit im Verborgenen bleibt, bis sie sich in verhängnisvollen Wendungen mit Gewalt Bahn bricht und auf tragische Weise ins Blitzlicht der Öffentlichkeit gelangt, nicht wirklich neu. »Nina Fowler jedoch findet dafür eine ungewöhnliche Form, bei der vor allem die zeichnerische Potenz der 1981 geborenen Engländerin herausragt« (K. Fischer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.08.2013).
Das Narrativ der Künstlerin
Komplexe Kompositionen wie I walk alone entstehen über einen langen Zeitraum in einer aufwendigen Konzeptionsphase und gehören ohne Zweifel zu den herausragenden Arbeiten der Künstlerin. Der Betrachter ist ausdrücklich eingeladen, die Szenerie selbst zu dechiffrieren und sein eigenes Narrativ daraus abzuleiten, wenngleich der Darstellung ganz konkrete Überlegungen zugrunde liegen, die Fowler selbst für uns erläutert hat:
»Diese kompositorischen Zeichnungen entwickeln sich über längere Zeiträume hinweg. Manchmal lebe ich jahrelang mit einem Hintergrundbild im Kopf, bevor ich die weiteren Elemente finde, die ich der Erzählung hinzufügen möchte. Gelegentlich habe ich ein Thema, z. B. Swimmingpool oder Laufen, und baue ein Archiv von Bildern auf, die unter diese Oberbegriffe fallen. Für I Walk Alone hatte ich eine Reihe von Referenzen, zu denen ich mich hingezogen fühlte, aber erst als ich sie in das Bild von Douglas Fairbanks Jnr. einfügte, in dem er vom Licht weg und auf uns zurennt, erkannte ich das Thema, von dem ich nicht einmal wusste, dass dies mein Thema sein würde: die Presse, die Medien.
Auf der linken Seite im Vordergrund tröstet Hedda Hopper, eine Klatschkolumnistin der 1940er Jahre, auf einer Party die betrunkene Tallulah Bankhead, zu deren Ehren die Feier veranstaltet wurde – eine vergiftete Ehrung, die fast wie eine Falle wirkt: Alkohol und Drogen wurden bereitgestellt, Fotografen eingeladen, und mit ein wenig Verführung wird Tallulah ein gefundenes Fressen für die morgigen Klatschspalten der Kolumnisten liefern. Ein doppeltes Spiel der Kolumnistin Hopper, die sich zugleich als Bankheads Freundin geriert, ein Spiel, das kennzeichnend ist für viele Karrieren und Beziehungen in der Geschichte der Showbranche. Abhängigkeiten werden gefördert, indem Mittel bereitgestellt werden, diese zu nähren, um die Stars zu befähigen, weiter aufzutreten und das Publikum zufrieden zu stellen auf dem Weg zu einem oftmals tragischen Ende.
Hinter dieser fragwürdigen Umarmung kommen die Absätze und der Pelzmantel von Marlene Dietrich zum Vorschein. Die Szene stammt aus einem Foto, auf dem der Star sich auf dem Rücksitz eines davonfahrenden Wagens versteckt, um den fanatischen Fans und dem Blitzlichtgewitter der Kameras zu entkommen. Die Sohlen ihrer Schuhe sind von den Auftritten abgenutzt, der Glamour ist verblasst und verfolgt sie dennoch weiter, während sie versucht, sich zumindest für den Moment ihrer unmittelbaren Umgebung zu entziehen.
Douglas Fairbanks Jnr. (der Sohn des Megastars) wurde in den 1920er bis 40er Jahren populär, wobei seine Popularität offenbar nicht zuletzt auf seinem Ruf als Frauenheld gründete. In den 60er Jahren tauchte sein Name im Zusammenhang mit dem Profumo-Skandal auf, seine Karriere hat unter den Gerüchten über Promiskuität aber nie gelitten – ganz anders, als es bei einem weiblichen Star sicherlich der Fall gewesen wäre. Auf dieser Zeichnung läuft er, kaum als Douglas Fairbanks Jnr. erkennbar, auf die Frauen zu, die die Dunkelheit des Vordergrunds einnehmen.
Das letzte Element der Collage, die Frau auf der rechten Seite, steht ganz allein, in der Hand einen Bogen, der das Blitzlicht der Kameras der Paparazzi reflektiert. Das Originalbild zeigt Anita Ekberg, die barfuß in der Einfahrt ihres Hauses steht und versucht, sich vor den Pressefotografen zu schützen, die sie ins Private hinein verfolgten.
All diese Elemente zusammen formen sich zu einer Zeichnung, die das Verhalten der Presse in der Auseinandersetzung mit den Individuen (in dieser Komposition jeweils gesichtslos dargestellt) thematisiert. Obwohl wir die Stars hier nicht erkennen können, ist klar, dass es in der Arbeit um das Eindringen der Öffentlichkeit in privates Leben geht, um unseren unersättlichen Appetit auf immer neue Ereignisse – tragisch, würdelos, unerbittlich und ungerecht.«
Sammler von Ridley Scott bis Jude Law
Nina Fowler verhandelt in ihren Arbeiten ein Zeiten überdauerndes Thema und trifft zugleich den Nerv der Zeit. So verwundert es auch nicht, dass Ihre Zeichnungen in den Sammlungen zahlreicher Prominenter wie Jude Law, John Maybury, Sharleen Spiteri, Caroline Issa und Ridley Scott ebenso vertreten sind wie in der Londoner National Portrait Gallery, der Colección Al Limite in Santiago de Chile und der Try-Me Collection in Richmond (Virginia, USA).
Weiterführende Informationen:
Galerie: artnow Gallery
Künstlerin: Nina Fowler
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