Im Gespräch mit dem Maler Juan Rodriguez Varon

Die Spontanität des Lichtes

Seine Gemälde reflektieren die tropischen Lichtverhältnisse seiner Heimat Kolumbien und erinnern gleichzeitig an die spontane Arbeitsweise der französischen Impressionisten – Juan Rodriguez Varons Werke zeugen von Offenheit gegenüber den unmittelbaren Eindrücken, die uns die Natur schenkt. Wir sprachen mit dem Künstler über Bildexperimente, Lichtreflexe und die Mehrdeutigkeit von Farben in der Dämmerung.

von Marén Cohen Monroy, 31. August 2022
Juan Rodriguez Varon im Atelier
Juan Rodriguez Varon im Atelier

 

Juan Rodriguez Varon erschafft auf seinen Leinwänden Farbwelten, welche die Grenzen zwischen Figürlichkeit und Abstraktion verwischen lassen. So erfasst er beispielsweise die Form eines Blattes, einen Lichtstrahl oder eine Reflektion, um dann mit Hilfe der Malerei spontan auf diesen ersten Eindruck zu reagieren. Dabei lässt er bewusst Zufälligkeiten wie Farbklumpen vom Pinsel, Überlappungen und Vermischungen zu. Durch diese sehr freie und spontane Arbeitsweise entsteht eine intensive Spannung zwischen der rechteckige Form, also der Geometrie des Bildträgers, und dem Volumen des dynamischen Farbauftrages. So scheint der stark geschwungene Pinselstrich stets frisch aufgetragen und die Farben einem spontanen Eindruck entsprungen zu sein. Der Künstler betrachtet dabei die Malerei als ein selbstständiges Gebilde, das zwar von der Welt getrennt sein will, aber dennoch in aktiver Wechselwirkung mit ihr steht.

Der 1988 in Kolumbien geborene Juan Rodriguez Varon studierte Kunst an der Universidad de los Andes in Bogotá. An der Belgischen Royal Academy of Fine Arts Antwerp machte er 2020 seinen Master of Fine Arts, wo er auch den MFA Painting Award gewann. Neben dem französischen CAMAC Centre d’art Marnay Art Center Residenzstipendium (2016) absolvierte der Künstler 2021 einen weiteren Studienaufenthalt über Cobertizo Art Residency in Mexiko. Er nahm an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Amerika und Europa teil.

Juan Rodriguez Varon Gemälde Jardin de Freda Nr.3
Juan Rodriguez Varon - Jardín de Freda nr. 3, Gemälde 2022, Öl auf Leinwand, 140 x 195 cm

Wie würdest Du Deine Kunst beschreiben?

Meine Arbeit sucht nach Spannungsformen auf dem Gebiet der Farbe. Ich gehe von gewöhnlichen visuellen Ereignissen aus, die ich mit Hilfe der Malerei auf einer flachen Oberfläche nachzuahmen versuche. Durch Experimente mit dem Bild und dem Material entstehen neue Spannungen zwischen den Farbfeldern, welche in ihrer Vibration, ihrem Nebeneinander und ihrer Geste immer einzigartig sind.

Wie fängst Du mit einer Arbeit an? Wie beginnt Dein individueller Prozess?

Ich beobachte ständig meine Umgebung. Ich gehe von alltäglichen und einfachen Ereignissen aus, wie zum Beispiel der Qualität eines Schattens, der Vibration eines Sonnenuntergangs durch die vorhandenen Wolken oder dem Licht, das durch einen Teich projiziert wird, und versuche, diese mit Hilfe der Malerei zu imitieren. Wenn ich mit dem Malen beginne und Schichten auftrage, von denen ich glaube, dass sie mich zu dem führen, was ich gesehen habe, beginnen die neuen Ereignisse auf der Leinwand für sich selbst zu sprechen. Sie werden dann zum eigentlichen Gegenstand meiner Arbeit, da ich anfange, mehr auf das zu achten, was auf dem Bild selbst geschieht, als auf meine ursprüngliche Idee. Auf diese Weise bewegt sich meine Arbeit in einem Fluss zwischen Abbildung und Abstraktion.

Welche gestalterischen Mittel benutzt Du, um Farbe zu erzeugen, und was fasziniert Dich daran?

Ölmalerei. Was mich am meisten daran fasziniert, ist die Transparenz, die Plastizität und die Tiefe, die sie der Farbe verleiht, sowie die Tatsache, dass sie elastisch ist und der Energie und Kraft, mit der sie behandelt wird, nachgibt.

Was beeinflusst Deine Farbwahl?

Das spezielle Temperament der Farben, welches jede erdenkliche Kombination ausmacht. Ich kann ein Gemälde als Anordnung von Farben betrachten. Es ist genau diese Art und Weise, wie die Farben (die auch Material sind) durch die Eigenart ihrer Handhabung angeordnet werden und somit eine Spannung von Licht und Raum in ein Gemälde bringen.

Wie sollen die Farben Deiner Arbeiten wahrgenommen werden?

Als Licht, das reflektiert wird. Ich würde das Gemälde (wie jeden anderen gesehenen Gegenstand) als etwas betrachten, das durch das Licht, welches von seiner Oberfläche reflektiert wird, enthüllt wird.   

Gibt es einen Künstler oder Kunstströmung, die Dich besonders geprägt oder beeinflusst hat?

Einige Momente und Meister der europäischen Maltradition sind für mich besonders einflussreich. In Anbetracht der Tatsache, dass ich viele dieser Werke zuerst durch Bücher und Bildschirme kennengelernt habe, war es mir ein großes Anliegen, die physische Realität dieser Werke zu verstehen. Die gotische und frührenaissancezeitliche Malerei von il Sassetta, Piero de la Francesca und Fra Angelico, um nur einige zu nennen, zeichnet sich durch ihre klare, harmonische und beredte Raumnutzung aus, die an der Grenze zur Flachheit liegt und die Illusion von Tiefe erzeugt. Meister wie Tizian oder El Greco wegen der Freiheit, mit der die Malerei manipuliert wird. Der spanische Barock wegen der exquisiten Wiedergabe von Licht und Schatten. Manet, Monet und viele Maler des XIX. Jahrhunderts, die sich dem Verständnis des Lichts näherten. Moderne Maler wie Matisse, weil sie mit der Schwere der Tradition brechen, um das Wesentliche des Beobachteten zu begreifen. Ich bewundere den amerikanischen abstrakten Expressionismus sehr wegen seines Strebens nach dem »Wesen« des Mediums Malerei (Helen Frankenthaler, Mark Rothko). Armando Reveron, ein venezolanischer proto-impressionistischer Maler, weil er auf das klare Licht des Strandes von Macuto reagierte und ein fast monochromes, flackerndes Leuchten auf eine harte Hanfleinwand brachte. Die Tradition der östlichen Malerei hat mich auch wegen der Vorstellung vom leeren Raum beeinflusst. Freda Sargent, eine englische Malerin, die in Kolumbien lebt, hat mich zuletzt beeinflusst, weil sie mit einer erstaunlich intelligenten Verwendung von Grau lebendige, tiefe Atmosphären schafft. 

Juan Rodriguez Varon Gemälde Eclipse en Tauro
Juan Rodriguez Varon - Eclipse en tauro (Lago), Gemälde 2021, Öl auf Leinwand, 109 x 132,5 cm

Welche Farbe hat Deine Welt?

Blau – nur weil ich mich in letzter Zeit dafür interessiere, wie Objekte und Schatten in der Dämmerung zusammenkommen.  

In welchem Moment findest Du das Licht am schönsten?

Zum Beginn des Abends. Ich habe die Idee, dass die Erde während des Sonnenuntergangs wie ein Prisma ist, das am Himmel die farbige Bandbreite des Sonnenlichts zeigt. Die möglichen Variationen ergeben sich aus den aktuellen atmosphärischen Bedingungen und der Topografie des Ortes, an dem man sich befindet. Da die Intensität des Lichts abends schwächer ist, ähneln die Schatten der Objekte dem Licht, was ihnen eine sehr flüchtige Mehrdeutigkeit in der Farbe verleiht.

Hast du eine Lieblingsfarbe?

Schwarz, da es die Abwesenheit von Licht ist, kann man durch seine Kontrastwirkung Farben erkennen, die Licht enthalten. Obwohl ich natürlich keine Lieblingsfarbe habe. Ich interessiere mich für alle Farben, wenn ich mir vorstelle, dass sie die Reflexion des Lichts - je nach der Art der molokularen Struktur der Oberfläche eines Objekts sind. Es ist die Möglichkeit, dass das Licht auf jedem Objekt reflektiert wird.

Wenn du kein Künstler wärst, wärst du...?

Ein Gärtner. Ich liebe Pflanzen. Ich habe das Gefühl, dass ich inmitten ihrer Schönheit und Ruhe leben möchte. Es ist befriedigend, sie wachsen zu sehen und zu erleben, wie sie sich je nach den gegebenen Bedingungen verhalten. Die Art von Räumen, die man mit ihnen schaffen kann, wie sie sie beeinflussen, das ist wirklich befriedigend. Dieser Wunsch ist der Grund, warum sich meine Malerei auf natürliche Motive konzentriert.

Name: Juan Rodriguez Varon
Geburtsdatum: 01. Juni 1988
Geburtsort: Bogotá, Kolumbien
Wohnsitz: Bogotá, Kolumbien
Instagram: @juanrodriguezvaron
Website: www.juanrodriguezvaron.com
Galerie: Nueveochenta, Bogotá, Kolumbien

Art.Salon

Juan Rodriguez Varon Gemälde Celofan
Juan Rodriguez Varon - Celofán, Gemälde 2022, Öl auf Leinwand, 135 x 560 cms
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Gespräch mit Verónica Lehner

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London, Tate Britain

Es war eines der bewegendsten Jahrzehnte in der Geschichte des Vereinigten Königreichs: die 1980er, geprägt von Streiks, Protesten, AIDS. Fotografinnen und Fotografen dokumentierten diese Zeit und wurden durch ihre Bilder zum Teil selbst zu politischen Aktivisten. Die Ausstellung The 80s: Photographing Britain eröffnet am 21. November in der Tate Britain in London.

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