Wiederentdeckte Künstlerinnen der 1920er

Das Verborgene Museum jetzt in der Berlinischen Galerie

35 Jahre lang hat das Verborgene Museum vergessene Künstlerinnen ans Licht geholt. Nun muss sich das Museum den Realitäten des Marktes stellen: Heutige Ausstellungen sind nicht mehr zu finanzieren. Ein Blick zurück und nach vorn.

von Marius Meyer, 21. March 2022

Seine Bilder prägten die Modefotografie und sind häufig auf Kunstauktionen zu finden: Der 2004 verstorbene Helmut Newton ist einer der berühmtesten Fotografen der Welt. Einzigartig sind seine ambivalenten Aktfotografien, die Frauen zwischen Selbstbestimmung und Unterwerfung zeigen. Nach Newtons eigener Aussage war die Fotografin Yva sein Idol. Yva war um 1930 die begehrteste Fotografin des Kunstzentrums Berlin und bildete den jungen Newton in ihrem Atelier aus. Nach ihrer Ermordung 1942 dauert es 60 Jahre, bis eine Ausstellung ihr stilbildendes Schaffen würdigte.

Yva ist bei weitem nicht die einzige Künstlerin, die in den 1920ern für Aufsehen sorgte und nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geriet: Lotte LasersteinEva Besnyö, Louise Stomps oder Ilse Heller-Lazard sind nur einige Namen von Künstlerinnen, die in den letzten Jahren wiederentdeckt wurden. Das Verborgene Museum brachte diese Entwicklung ins Rollen.

Die Anfänge des Museums

Die Geschichte des Museums beginnt 1986. Die Künstlerinnen Gisela Breitling und Evelyn Kuwertz initiierten eine Ausstellung, die Kunst von Frauen aus den Sammlungen der West-Berliner Museen präsentierte. Fasziniert vom gewaltigen Umfang an vorhandenen Werken unbekannter Künstlerinnen gründen Breitling und Kuwertz gemeinsam mit einigen Kunsthistorikerinnen das Verborgene Museum, um das Projekt dauerhaft zu betreiben.

Den Fokus legen sie auf um 1900 geborene Künstlerinnen, da diese zur ersten Generation gehörten, die an Kunsthochschulen studieren durften. In den experimentierfreudigen 1920ern nahmen sie am regen Kunstbetrieb teil, doch nur wenige konnten auch nach den Einschnitten des Zweiten Weltkriegs noch Erfolge feiern. Bis in die 1980er Jahre hinein vertrat die Kunstgeschichte die Auffassung, dass es kaum nennenswerte Künstlerinnen gegeben hätte. Dieser Ansicht gilt es mit Fakten entgegenzutreten. Ein Beispiel dafür ist Yva.

Wer war Yva?

Im Jahr 2001 organisiert das Verborgene Museum die Ausstellung Yva − Photographien. 1925 – 1938 und löst eine kleine Welle an wissenschaftlichen Untersuchungen über diese Fotografiepionierin aus. Yva wurde 1900 als Else Ernestine Neuländer geboren und eröffnete mit 25 Jahren in Berlin ihr eigenes Fotoatelier. Schnell verdiente sie sich mit Mehrfachbelichtungen und surrealen Fotocollagen ihren Ruf als innovative Künstlerin. Yva war sowohl in der Mode- als auch der experimentellen Fotografie bewandert und die begehrteste Fotografin ihrer Zeit im Hotspot Berlin − in Fachzeitschriften anerkannt wie ihr Pariser Kollege Man Ray. Sie erhielt das Angebot, für das Life Magazine in New York zu arbeiten, blieb aber in ihrer Heimat.

Aus heutiger Sicht wirken ihre Bilder recht unspektakulär. Dies liegt daran, dass wir ihre Bildsprache im heutigen Medienzeitalter bereits gewohnt sind: Yvas Experimente sind durch die Weitergabe an Newton und weitere Fotografen zum weltweiten Standard geworden. Nur im direkten Vergleich zu zeitgenössischen Fotografien ist erkennbar, wie weit Yva ihrer Zeit voraus war.

Wegen ihrer jüdischen Herkunft musste sie 1938 ihr Atelier schließen, womit auch die zweijährige Ausbildung Newtons endete. Auf Wunsch ihres Mannes blieb Yva in Deutschland und arbeitete als Röntgenassistentin im Jüdischen Krankenhaus Berlin. Der bereits in Australien lebende Newton überzeugte Yva schließlich, auszuwandern. Noch während sie die Flucht vorbereitete, wurde Yva deportiert und 1942 im Vernichtungslager Sobibor ermordet.

Jüngste Auktionsergebnisse von Yva

Yva - Lederstiefel / Hellblau Weiss gestreiftes Hauskleid mit dunkelblauem Besatz / Unterwäsche.
Auction
Herbst 2019 - Photographie
November 2019
Grisebach
Est.: 1.000 - 1.500 EUR
Realised: 1.000 EUR
Details
Yva - Reise- und Segelanzug.
Auction
Frühjahr 2019 - Photographie
May 2019
Grisebach
Est.: 1.200 - 1.600 EUR
Realised: 1.875 EUR
Details
Yva - Genoppte Herrenschuhe.
Auction
Frühjahr 2019 - Photographie
May 2019
Grisebach
Est.: 800 - 1.200 EUR
Realised: 750 EUR
Details
Yva - Strandkleid. Modell: Roeckl.
Auction
Frühjahr 2019 - Photographie
May 2019
Grisebach
Est.: 1.200 - 1.600 EUR
Realised: 1.250 EUR
Details
Yva - Tänzerin Tatjana Barbakoff.
Auction
Frühjahr 2019 - Photographie
May 2019
Grisebach
Est.: 2.500 - 3.000 EUR
Realised: 3.125 EUR
Details
Yva - Beine.
Auction
Frühjahrsauktionen 2017 - Photographie
May 2017
Grisebach
Est.: 2.500 - 3.500 EUR
Realised: 5.250 EUR
Details
Yva - Ohne Titel (Bademode Jantzen), Berlin.
Auction
Herbstauktionen 2016 - Moderne und Zeitgenössische Photographie
November 2016
Grisebach
Est.: 600 - 800 EUR
Realised: 1.625 EUR
Details
Yva - Der Dieb.
Auction
Auktionen 237-246 - Moderne und Zeitgenössische Photographie
June 2015
Grisebach
Est.: 6.000 - 8.000 EUR
Realised: 7.500 EUR
Details
Yva - Hut und Handschuhe aus gepresstem Samt
Auction
Photographie
June 2011
VAN HAM
Est.: 1.000 - 1.000 EUR
Realised: 1.161 EUR
Details
Yva - Nude with mask, before 1938
Auction
Photographs
November 2007
Christies, London
Est.: 2.000 - 3.000 GBP
Realised: 2.250 GBP
Details

Hinter den Kulissen des Museums

Das Ziel des Verborgenen Museums ist es, bedeutende Künstlerinnen ins Blickfeld der Kunstgeschichte zu rücken. Künstlerinnen, die nachweislich zu Lebzeiten bekannt waren und künstlerisch wertvolle Werke schufen. Die Mitarbeiterinnen des Verborgenen Museums suchen nicht nur Archive und Bibliotheken auf, sondern durchforsten unveröffentlichte Briefe und weitere Aufzeichnungen von Künstlerkollegen und Freundeskreisen. Auch Dachbodenfunde von Familienangehörigen untersuchen sie genauestens.

Teilweise vergehen Jahre, bis sie genügend Material für eine Ausstellung gesammelt haben. »Machbarkeit, Ausdauer sowie das Glück der Entdeckerinnen sind entscheidende Faktoren, die über die Realisierung eines Projektes entscheiden«, sagt Elisabeth Moortgat aus dem Vorstand des Verborgenen Museums. »Die Machbarkeit ist überwiegend an die Vergabe finanzieller Mittel gebunden und nicht allerorten sind unbekannte Künstlerinnen in den Augen von Geldgeberinnen und Geldgebern förderungswürdig.«

Die Erfolge

Vom Publikum gab es, wie Moortgat erwähnt, viel Anerkennung. Ausstellungen wie Lotte Laserstein – Meine einzige Wirklichkeit (2003), Eva Besnyö – Fotografin (2011) oder Künstlerinnen im Dialog – Gemälde. Fotografien. Skulpturen (2013) begeisterten. Die öffentliche Aufmerksamkeit für Künstlerinnen – zeitgenössische wie verstorbene – nimmt zu. Das Verborgene Museum ist seit den 1980ern mit seinen etwa 150 wiederentdeckten Biografien ein Vorreiter dieser Entwicklung. Laut Elisabeth Moortgat ist noch viel Luft nach oben: »Der wachsende Druck der Gleichberechtigungsbestrebungen im letzten Jahrzehnt hat zu einer größeren Beachtung, aber noch nicht zu einer Gleichstellung geführt.« Deutlich wird dies zum Beispiel an der geringeren Wertschätzung von Künstlerinnen auf dem Kunstmarkt.

Wie die Mission weitergeht

Der stetig wachsende Qualitätsanspruch im Kunstbetrieb fordert seine Opfer. Zu ihnen gehört auch das Verborgene Museum gehört. Hohe Versicherungen und teure modernste Klimatechnik übersteigen die finanziellen Möglichkeiten des kleinen Museums, das sich seit der Gründung in einem Wohnhaus befindet. Zudem fanden sich keine jungen Kunsthistorikerinnen, die das Projekt fortsetzen wollten. Seit dem 1. Januar 2022 übernimmt die Berlinische Galerie, ein langjähriger Ausstellungspartner des Museums, die Aufgaben. Die Galerie plant, das Projekt in den kommenden Jahrzehnten weiter zu etablieren und die Reichweite zu erhöhen. Zu dem Zweck sollen auch Ausstellungen zu zeitgenössischen Künstlerinnen stattfinden.

Es ist erfreulich, dass das weltweit einzigartige Projekt nicht verschwindet, sondern in die Hände der Berlinischen Galerie übergeht. Gespannt darf man noch sein, wann zwischen den zahlreichen Newton-Ausstellungen wieder eine Retrospektive von Yva zu sehen ist.Art.Salon

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