Barbara Evina: »Ich bin eine afrikanische Frau, die zufälligerweise Kunst macht«
Die großen Städte der Welt sind geprägt von einer sich ständig verändernden Gesellschaft und die Künste funktionieren dabei wie ein Spiegel ihrer wechselnden Bewohnerinnen und Bewohner. In dieser Interviewreihe lassen wir drei Künstler zu Wort kommen, deren Leben zwischen den Kulturen spannende Arbeiten hervorgebracht hat.
Die Pandemie hat viele Menschen zum Umdenken gebracht, und einige haben sich auf das zurückbesonnen, was sie schon immer machen wollten. Das war auch bei Barbara Evina der Fall. Inmitten des Lockdowns griff sie zu Pinsel und Ölkreide und drückte aus, was ihr schon lange auf der Seele brannte: Sie porträtiert dunkelhäutige Frauen, die so aussehen wie sie und welche, abgesehen von Exotismen und Klischees, noch viel zu selten als vollwertige Künstlerinnen behandelt werden, wie sie uns im folgenden Interview erklärt.
Wie würdest Du Deine Kunst beschreiben?
Ich würde sagen, es ist wie ein Ausdruck von allem, was ich in mir trage. Manchmal ist es einfacher, über bestimmte Themen zu sprechen, wenn man sie visualisieren kann. Das war der Grund, warum ich 2020 mit der Malerei begonnen habe. Aber ich habe schon immer gezeichnet, und ich habe mich schon immer für Kunst interessiert. Im Grunde gibt es in jeder Familie ein Künstlerkind und das war ich. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich Kunst geliebt. Und auch als ich erwachsen wurde, konnte ich sie nie ganz aufgeben. Vielmehr habe ich beschlossen, mein Leben danach auszurichten.
Es gab also einen Grund, warum Du mit der Malerei begonnen hast?
Ja, die Covid-Depression. Es war sehr schwierig für mich während der Pandemie, weil ich im Oktober 2019 frisch nach Berlin gezogen bin und ich mich in einem Land wiederfand, in dem ich niemanden kannte, die Kultur nicht kannte und das Gefühl hatte, überhaupt nichts zu wissen. Die Kunst hat mir wirklich geholfen, diese seltsame Zeit zu überstehen. Ich lernte neue Leute kennen und fühlte mich allmählich wohler mit mir selbst und meinem Aufenthaltsort.
Und vorher hast Du in Frankreich gelebt, richtig?
Ja, ich bin in Frankreich aufgewachsen. Aber ich wurde in Kamerun geboren, habe dort einige Jahre gelebt und bin dann nach Frankreich gezogen. Ich habe also viele verschiedene Heimaten und eine multikulturelle Geschichte. Ich glaube, dass sich das ungewollt in meiner Kunst widerspiegelt (dass ich an verschiedenen Orten gelebt habe und dass ich viele verschiedene Denkweisen habe). Ich versuche nicht, das eine oder das andere besser zu finden. Ich brauche einfach all diese verschiedenen Denkweisen - sie sind der Grund dafür, dass ich die Person sein kann, die ich heute bin. Sie sind alle ein Teil von mir.
Für mich ist es eine Bereicherung, dass Du alle diese verschiedenen Einflüsse hast...
Als ich jünger war, habe ich versucht, mir die Teile herauszupicken, die mir in Bezug auf meine Herkunft und auf die Kultur, welche ich später kennen gelernt habe, am besten gefallen haben. Aber in den letzten Jahren bin ich offener dafür geworden, sie alle zu verstehen, anstatt sie zu kritisieren.
Du arbeitest mit viel Farbe, was mich ein wenig an die US-amerikanische Künstlerin Amy Sherald oder an Amoako Boafo erinnert. Gibt es irgendwelche Referenzen für deine Arbeitsweise?
Eigentlich nicht. Ich versuche es nicht. Als ich jünger war, habe ich deshalb die Malerei aufgegeben. In Frankreich konnte ich niemanden finden, der so aussah wie ich und Kunst machte (in den frühen 2000er Jahren gab es noch kein Instagram). Das war für mich als Kind sehr demotivierend. Hinzu kam, dass ich in Galerien und Museen nie etwas sehen konnte, mit dem ich etwas anfangen konnte, abgesehen von den Klassikern. Die Klassiker, das ist alles, was ich damals sehen konnte, und deshalb konnte ich mich nie dazu durchringen, einen Künstler zu haben, den ich bewunderte oder dem ich nacheifern wollte. Auch heute noch mag ich einige Künstler, ihre Ästhetik und/oder ihre Geschichten, aber ich habe nicht einen bestimmten Künstler im Kopf, wenn ich arbeite.
Und was führt Dich nach Berlin? Was gefällt Dir an der Stadt?
Ich wollte etwas Neues, weil ich von Frankreich genug hatte. Ich bin dort aufgewachsen und wurde erwachsen, aber ich hatte nie das Gefühl, dazuzugehören oder dass ich dort jemals das tun könnte, was ich wirklich wollte. Ich bin nach Berlin gezogen, weil ich einige Leute kannte und ein Jahr lang hier studiert hatte. Also sagte ich mir, ich würde es in Deutschland versuchen, und kam hierher. Zuerst kam ich nur, um zu arbeiten, aber jetzt male ich, und ich glaube, es war eine gute Entscheidung.
Das ist großartig! Und gibt es Deiner Meinung nach mehr Kunst in Berlin, mit der Du Dich identifizieren kannst?
Ja, das kann ich wirklich. Ich versuche, so oft wie möglich auf Ausstellungen zu gehen und ich treffe Künstler, die aus allen Teilen der Welt kommen. Das ist so motivierend, so neu und so positiv und gibt mir all den Mut, den ich brauche, um meiner Leidenschaft nachzugehen. Ich wusste gar nicht, dass Berlin so eine kunstorientierte Stadt ist oder dass ich hier Inspiration finden würde, aber ich bin froh, dass ich Berlin zufällig ausgewählt habe (lacht).
Es gibt eine Frage, die ich Dir schon die ganze Zeit stellen wollte: Warum heisst Deine Website »Whims Arts«?
Das fragt mich jeder. Das liegt daran, dass ich, als ich anfing, Kunst ins Internet zu stellen, keine Absichten dabei hatte. Vorher waren die Beiträge auf meinem Konto nur Skizzen, Zeichnungen, Illustrationen ... Dinge, die ich zeichnen wollte und dann ohne jeglichen Hintergedanken teilte. Für mich war es anfangs nur eine Laune (engl. whims), Kunst zu machen, wenn ich Lust dazu hatte, und manchmal habe ich sie dann geteilt. Deshalb habe ich es »Whims Arts« genannt.
Ich habe nie geplant, Kunst zu machen. Ich muss es einfach tun, und wenn es herauskommt, dann kommt es heraus.
Und warum ist es für Dich wichtig, schwarze Frauen zu porträtieren?
Es ist wichtig für mich und für alle, die so sind wie ich. Denn es mag jetzt eine Menge schwarzer Künstler oder schwarzer Künstlerinnen geben, aber das heißt nicht, dass es genug oder zu viele sind. Ich trage einfach zu dieser neuen Kultur bei, die wir für uns selbst schaffen. Es ist mir wichtig, schwarze Frauen zu porträtieren, gerade weil ich eine schwarze Frau bin. Ich muss die Dinge malen, mit denen ich mich identifiziere, und ich muss in der Lage sein, eine Geschichte aus meiner Sicht zu erzählen und die Menschen dazu zu bringen, sich mit ihr zu identifizieren. Wenn die Menschen, die meine Kunst sehen, nicht schwarz sind und sich trotzdem damit identifizieren können, dann bedeutet das, dass einige Botschaften universell sind. Einige andere sind spezifischer. Aber das ändert für mich nichts. Wenn ich in eine Galerie gehe und dort eine weiße Frau abgebildet ist, kann das Bild auch zu mir sprechen. Die Farbe der Frau spielt keine Rolle. Warum also nicht schwarze Frauen malen?
Du hast etwas Interessantes gesagt, nämlich dass Du diese Kunstwerke selbst malen willst und nicht andere Leute die Arbeit für Dich machen lässt. Ich weiß das zu schätzen, denn im Moment sind schwarze Künstler wirklich gefragt. Aber fast jedes Mal interpretiert ein weißer Europäer oder Nordamerikaner die Werke dieser Künstler. Vielleicht gibt es im Augenblick nicht so viel Ignoranz gegenüber dieser Art von Arbeit, aber es gibt immer noch eine Menge Leute, die reden, anstatt zuzuhören...
Ich glaube, in der Kunst gibt es derzeit viele Geschichtenerzähler. Ein Künstler malt etwas und jemand schreibt einen ganzen Absatz darüber. Für mich ist das etwas, das wirklich nicht notwendig ist. Es sei denn, ich male etwas, das Teil einer Serie ist, dann hat es natürlich eine Bedeutung. Aber ich kann nicht ein Bild ausstellen und dann eine Geschichte dazu erzählen, die für jeden auf die gleiche Weise zu verstehen ist.
In Deinen Arbeiten sehe ich viele Masken oder Menschen ohne Gesicht. Warum ist das so?
Weil ich das Gefühl habe, dass wir zu sehr auf die Gesichter schauen. In Museen sieht man immer wieder diese Porträts von sehr schönen oder charakteristischen Frauen, deren Emotionen vor allem in ihren Gesichtern dargestellt werden. Und die Art und Weise, wie wir sie interpretieren, hängt oft von der Attraktivität der gemalten Person ab, was für mich trügerisch ist. Ich denke, dass wir Gesichter zu sehr benutzen, um Emotionen auszudrücken, obwohl wir auch andere Aspekte nutzen könnten, um das Gleiche zu erreichen. Deshalb habe ich beschlossen, keine Gesichter zu zeichnen und stattdessen Farben zu verwenden. Ich versuche, Emotionen anders darzustellen, nicht um des Andersseins willen, sondern weil ich denke, dass Gesichter zu viel für meine Bilder sind. Es ist nicht so, dass ich Gesichter auf den Bildern anderer Künstler nicht mag, aber wenn ich einmal ein Gesicht gemalt habe, weiß ich, dass die Leute hauptsächlich darauf schauen werden, und das ist für mich nicht interessant. Ich finde, dass Farben die Stimmung besser wiedergeben. Ich kann Emotionen durch Farben darstellen, zumindest lerne ich das gerade, und das ist definitiv eine interessante Herausforderung für mich.
Und wie reagieren die Menschen auf Deine Kunst?
Die Leute sagen übereinstimmend: »Es gibt kein Gesicht, aber ich kann die Emotionen fühlen, so wie du sie darzustellen versuchst« und das macht mich wirklich glücklich, denn ich denke, das ist der Sinn der Sache. Das Fehlen von Gesichtern ist für mich wie ein offenes Ende und das spüre ich an der Art und Weise, wie die Leute auf meine Kunst reagieren. Es muss nicht genau das sein, was ich sehe, was alle anderen auch sehen. Die Leute können also raten: Diese Person ist glücklich, weil die Farben hell sind, oder traurig, weil die Farben dunkel sind und so weiter. Aber es ist nie auf dem Gesicht zu sehen, man muss es erraten.
Du hast nur in Deutschland ausgestellt?
Ja, kürzlich im September habe ich in der Aaimba Gallery in Berlin ausgestellt, nächstes Jahr habe ich eine weitere Ausstellung in Deutschland. Natürlich würde ich gerne noch ein bisschen weiter gehen und in Afrika ausstellen, speziell in Kamerun. Denn ich mag die Kunst dort.
Gibt es Künstler aus Kamerun, die Du magst?
Es gibt Sesse Elangwe, er malt schwarze Menschen mit einem großen Auge. Ich mag seine Philosophie und seine Farben. Er verwendet ebenfalls leuchtende Farben. Das ist etwas, das ich wirklich mag.
Um ehrlich zu sein, kenne ich mich nicht wirklich bei diesem Thema aus. Aber ich kenne keine Künstlerin aus Kamerun...
Nun, um ehrlich zu sein, ist die Kunst dort leider ebenfalls vorwiegend männlich. Es stimmt, dass Frauen ziemlich selten sind, aber die Kultur verändert sich noch.
Und warum ist das so?
Ich glaube, das liegt an der Kultur. Und viele Leute sind wie ich und trauen sich nicht, es sei denn, sie sehen, dass andere Leute auch Kunst machen. Ich meine, wenn ein Kind seinen Eltern erzählt, dass es Kunst machen will, ist die Reaktion: »Es gibt niemanden wie dich, der Kunst macht und es groß rausbringt.« Und kulturell gesehen müssen Mädchen und Frauen in Kamerun immer noch für viele Dinge kämpfen, die im Westen als selbstverständlich angesehen werden. Ich glaube, wir sehen die kulturelle Bedeutung noch nicht. Aber das wird sich mit Sicherheit ändern.
Ja, sicher. Jemand wie Du muss den Anfang machen. (Gelächter)
Die wenigen kamerunischen Künstler, die ich kenne, leben fast immer außerhalb von Kamerun. Ich denke, auch das ist ein Problem. In Kamerun gibt es eine starke Migration.
Glaubst Du es ist ein Problem, weil diese Künstler im Ausland studieren und Ideen »importieren«?
Ja, das ist durchaus ein Problem, denn wir haben unsere eigene Kunst, aber die Geschichte hat uns viel genommen. Ich glaube nicht, dass diese Künstler per se Ideen »importieren«, aber wir verstehen die Dinge anders und der Versuch, diese Ideen vor Ort durchzusetzen, ist ebenfalls problematisch. Im besten Fall, wenn die lokale kamerunische Kunst eine klare Identität hätte, könnten wir über den Import von Ideen sprechen. Aber ich glaube, das ist noch nicht der Fall.
In einem Land, in dem die Menschen kaum überleben oder sich extrem anstrengen müssen, um ein anständiges Leben zu führen, glaube ich nicht, dass Kunst für sie das wichtigste Thema ist und das ist auch absolut verständlich. Und Du wirst feststellen, dass in Afrika die Kunst in allen Ländern, in denen es den Menschen eigentlich gut geht, sehr wichtig ist. Das hängt alles zusammen.
Gibt es unterschiedliche Reaktionen auf Deine Kunst bei Menschen aus Deutschland, Frankreich oder Kamerun? Oder reagieren sie gleich?
Ich muss sie noch einem kamerunischen Publikum zeigen.
Ich glaube, viele Leute mögen die Farben, weil sie verstehen, dass es um Farben geht. Ich denke nicht, dass es ein Problem ist, dass ich nur schwarze Körper male. Es könnte ein Problem sein, wenn ich versuche, in größeren Galerien auszustellen, wo ich nie Kunst von Schwarzen sehe. Aber bis jetzt habe ich noch nie Reaktionen bekommen, die mir nicht gefallen haben. Die Leute sind in der Regel überrascht, wenn sie meine Kunst sehen, oder sie verstehen sie und können sich mit meiner Arbeit identifizieren. Aber für die meisten spielt es keine Rolle, ob die Körper schwarz oder weiß sind.
Ich beobachte die Kunstszene in Berlin, und es stimmt, dass es in Berlin eine Menge Kunst von »People of Color« gibt. Aber man kann sie nur dort finden, wo wir sind, denn das ist die einzige Möglichkeit, unsere Kunst zu zeigen. Und es wäre großartig, wenn Kunst von Menschen, die nicht weiß sind, leichter in Orten akzeptiert würde, die viel größer und besser finanziert sind. Besonders in einer Stadt wie Berlin. Ich habe das Gefühl, dass es immer noch ein kleines Problem damit gibt, Kunst in Räume zu bringen, wo sie wirklich jeder sehen kann.
Berlin ist eine Stadt mit vielen verschiedenen Menschen und Kulturen und für mich ist das mein Alltag. Aber vielerorts ist diese Vielfalt nur ein "Event"...
Es macht mir Freude, Kunst von Menschen zu sehen, die nicht weiß sind, aber sie sind immer noch Ausnahmen in den Museen und Galerien, und ich denke, es gibt hier noch viel Arbeit.
In Berlin tun die Leute gerne so, als ob wir alle auf dem gleichen Level wären und die gleichen Möglichkeiten hätten, aber das stimmt nicht. Ich mag es, hier Kunst zu machen, aber ich würde gerne expandieren und an so vielen verschiedenen Orten wie möglich ausstellen. Ich habe das Gefühl, dass man auf diese Weise am meisten teilen kann und dass mehr Menschen verstehen, was man zu sagen versucht.
Ich möchte nicht, dass die Leute seltsame Vorstellungen davon haben, was afrikanische Kunst ist, und dass sie Erwartungen an mich stellen, dass ich »afrikanische Kunst« mache. Ich sage immer: Ich bin nur eine afrikanische Frau, die zufällig Kunst macht. Ich denke also, dass jeder, der in der Kunstindustrie arbeitet, anfangen sollte, »People of Color« auf diese Weise zu betrachten. Wenn wir uns darüber einig sind und anfangen, jeden Künstler als Individuum zu behandeln, können wir vielleicht an den Punkt gelangen, an dem wir alle die gleichen Chancen und eine unvoreingenommene Kritik bekommen.
Vielen Dank, Barbara, für dieses anregende Gespräch!
Einen besonderen Dank an Felix Adumatta Donkor von der Aaimba Gallery, Berlin für die Ermöglichung dieses Gesprächs!
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