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Hans Bellmer
Die Puppe. Erinnerungen zum Thema Puppe
Found at
Lempertz,
Cologne
Evening Sale - Moderne und Zeitgenössische Kunst, Lot 85
6. Jun - 6. Jun 2023
Evening Sale - Moderne und Zeitgenössische Kunst, Lot 85
6. Jun - 6. Jun 2023
Estimate: 30.000 - 40.000 EUR
Price realised: 52.920 EUR
Price realised: 52.920 EUR
Description
1934
Photobuch mit 10 Vintages, Gelatinesilberabzügen hochglänzend (jeweils ca. 5,7 x 8,6 cm), montiert auf gelben Karton mit rückseitiger Paginierung und einem Text, gedruckt auf dünnem, rosafarbenem Papier. Marmorierter Pappeinband mit rosafarbenem Rückenschild. 11,7 x 8,9 cm. 34 Seiten. Auf dem Schmutztitel mit Bleistift signiert. Verlag Th. Eckstein, Carlsruhe/OS.
"War nicht in der Puppe, die nur von dem lebte, was man in sie hineindachte, die trotz ihrer grenzenlosen Gefügigkeit zum Verzweifeln reserviert zu sein wusste, war nicht in der Gestaltung gerade solcher Puppenhaftigkeit das zu finden, was die Einbildung an Lust und Steigerung suchte? Bedeutete es nicht den endgültigen Triumph über die jungen Mädchen mit ihren großen beiseite sehenden Augen, wenn die Finger, angriffslustig und nach Formbarem aus, gliedweise langsam entstehen ließen, was sich Sinne und Gehirn destilliert hatten? Gelenk an Gelenk fügen, den Kugeln ihren größten Drehbereich für kindliche Pose abprobieren, den Mulden sacht folgen, das Vergnügen der Wölbungen kosten, sich in die Muschel des Ohrs verirren, Hübsches machen und ein wenig rachsüchtig auch das Salz der Deformationen verteilen. Obendrein vor dem Inneren beileibe nicht stehenbleiben, die verhaltenen Mädchengedanken entblättern, damit ihre Untergründe sichtbar werden, durch den Nabel am besten, tie
Mit dieser Frage beendet Hans Bellmer den einleitenden Textteil seines hier vorliegenden Buches "Die Puppe. Erinnerungen zum Thema Puppe", erschienen 1934 beim Verlag Th. Eckstein in Carlsruhe/Oberschlesien. Auf neun Textseiten beschreibt der vom Dadaismus und Surrealismus gleichermaßen beeinflusste Künstler in fiebriger Sprache sein inneres Ringen mit einem Trauma der Jugendzeit. Auslöser für den beschriebenen Unruhezustand, der zwischen sexueller Überreiztheit, theatralischer Verzweiflung und aggressiver Rachsucht oszilliert, war die obsessive Zuneigung Bellmers zur eigenen Cousine Ursula Naguschewski („Ursula N.“), der das Buch gewidmet ist.
Bellmers vermeintlich autobiographischer Text handelt von den frustrierenden Erfahrungen mit den "jungen Mädchen", die er mit "gelenkigen Puppen" gleichsetzt. Diese werden als Objekte der Begierde beschrieben und zugleich als Akteurinnen, die den hilflosen, jugendlichen Ich-Erzähler - gedankenlos oder hinterhältig - in ihr grausames Spiel verwickeln.
Hans Bellmer, der sich mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten aus dem bürgerlichen Erwerbsleben zurückzog und sich fortan ganz seiner obsessiven Kunst widmet, beginnt 1932 mit der Arbeit an seiner ersten Puppe, unterstützt von seinem technisch versierten Bruder Fritz. Nicht die Puppe selbst, ein aus einer Holzkonstruktion bestehendes Gerüst mit Kugelgelenken und schalenartiger rauher "Haut", gebildet aus Schichten von Flachs, Leim und Gips, sondern die mit ihrer Hilfe inszenierten Photographien stellen das eigentliche Werk des Künstlers dar. Mittels der photographischen „Dokumentation“ der Herstellung (und Zerlegung) seiner Puppe stellt Bellmer den Prozess der Schöpfung (und Zerstörung) nach, übt auf diese Weise Rache an der als Substitut dienenden Figur für die ihm widerfahrene Schmach. Ein Akt, der, wie Bellmer zugleich einräumt, zum Scheitern verurteilt ist.
Erst durch die Photographie erhält Bellmers Puppe ihre Lebendigkeit. "Die Puppe, die uns [...] als morbid-lebendiges Geschöpf gegenübertritt, visualisiert par excellence die fotografische Eigenschaft das lebendige Bild von etwas Totem zu generieren. [...] Mit der Anspielung auf das Motiv der weiblichen Leiche potenziert sich zudem der Bildstatus von Weiblichkeit, denn mit der Totenstarre wird der Körper zum Bild und fordert damit geradezu weitere bildliche Darstellungen heraus." (Birgit Käufer, a.a.O., S. 57).
Bellmer nutzt verschiedene photographische Herangehensweisen, um die Kunstfigur zum Leben zu erwecken. Von der effektvollen (portrait-) photographischen Inszenierung unter Einsatz von Schlaglichtern, um einen Chiaroscuro-Effekt hervorzurufen, bis hin zu experimentellen Dunkelkammerverfahren, hier in Form eines Negativabzugs. Ein Selbstportrait mit Puppe zeigt den Photographen als halbtransparenten, verwischten Schemen neben seiner klar wiedergegebenen Puppe, die sich abwehrend abzuwenden scheint. Fast immer ist der Photograph seinem Objekt zu nahe gerückt, zeigt nur dessen Fragmente und Details, zum Teil eingerahmt von Spitzenstoff und Tüll, was an eine Vergewaltigung oder wenigstens eine schamverletzende Entblößung denken lässt.
Insgesamt 28 Aufnahmen entstehen an und mit dem "Photomodell" der ersten Puppe Bellmers, von denen er eine Auswahl von 10 Photographien in dem hier vorliegenden Buch erstmalig präsentiert. Eine größere Auswahl von 18 Aufnahmen erscheint noch im selben Jahr auf einer Doppelseite in der Dezemberausgabe der Zeitschrift ‚Minotaure‘ (Heft 6, 1934, S. 30/31), eine Veröffentlichung, die in Frankreich großes Aufsehen erregte und Bellmer zu dessen Aufnahme in die Pariser Surrealistenkreise verhilft. Es folgen Reisen nach Paris und die Teilnahme an wichtigen Gruppenausstellungen der Surrealisten. Bellmer setzt seine Arbeit an der Puppenthematik mit dem Bau einer zweiten Puppe fort und verläs
Vom Photographen an den Vater der heutigen Eigentümerin
Photobuch mit 10 Vintages, Gelatinesilberabzügen hochglänzend (jeweils ca. 5,7 x 8,6 cm), montiert auf gelben Karton mit rückseitiger Paginierung und einem Text, gedruckt auf dünnem, rosafarbenem Papier. Marmorierter Pappeinband mit rosafarbenem Rückenschild. 11,7 x 8,9 cm. 34 Seiten. Auf dem Schmutztitel mit Bleistift signiert. Verlag Th. Eckstein, Carlsruhe/OS.
"War nicht in der Puppe, die nur von dem lebte, was man in sie hineindachte, die trotz ihrer grenzenlosen Gefügigkeit zum Verzweifeln reserviert zu sein wusste, war nicht in der Gestaltung gerade solcher Puppenhaftigkeit das zu finden, was die Einbildung an Lust und Steigerung suchte? Bedeutete es nicht den endgültigen Triumph über die jungen Mädchen mit ihren großen beiseite sehenden Augen, wenn die Finger, angriffslustig und nach Formbarem aus, gliedweise langsam entstehen ließen, was sich Sinne und Gehirn destilliert hatten? Gelenk an Gelenk fügen, den Kugeln ihren größten Drehbereich für kindliche Pose abprobieren, den Mulden sacht folgen, das Vergnügen der Wölbungen kosten, sich in die Muschel des Ohrs verirren, Hübsches machen und ein wenig rachsüchtig auch das Salz der Deformationen verteilen. Obendrein vor dem Inneren beileibe nicht stehenbleiben, die verhaltenen Mädchengedanken entblättern, damit ihre Untergründe sichtbar werden, durch den Nabel am besten, tie
Mit dieser Frage beendet Hans Bellmer den einleitenden Textteil seines hier vorliegenden Buches "Die Puppe. Erinnerungen zum Thema Puppe", erschienen 1934 beim Verlag Th. Eckstein in Carlsruhe/Oberschlesien. Auf neun Textseiten beschreibt der vom Dadaismus und Surrealismus gleichermaßen beeinflusste Künstler in fiebriger Sprache sein inneres Ringen mit einem Trauma der Jugendzeit. Auslöser für den beschriebenen Unruhezustand, der zwischen sexueller Überreiztheit, theatralischer Verzweiflung und aggressiver Rachsucht oszilliert, war die obsessive Zuneigung Bellmers zur eigenen Cousine Ursula Naguschewski („Ursula N.“), der das Buch gewidmet ist.
Bellmers vermeintlich autobiographischer Text handelt von den frustrierenden Erfahrungen mit den "jungen Mädchen", die er mit "gelenkigen Puppen" gleichsetzt. Diese werden als Objekte der Begierde beschrieben und zugleich als Akteurinnen, die den hilflosen, jugendlichen Ich-Erzähler - gedankenlos oder hinterhältig - in ihr grausames Spiel verwickeln.
Hans Bellmer, der sich mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten aus dem bürgerlichen Erwerbsleben zurückzog und sich fortan ganz seiner obsessiven Kunst widmet, beginnt 1932 mit der Arbeit an seiner ersten Puppe, unterstützt von seinem technisch versierten Bruder Fritz. Nicht die Puppe selbst, ein aus einer Holzkonstruktion bestehendes Gerüst mit Kugelgelenken und schalenartiger rauher "Haut", gebildet aus Schichten von Flachs, Leim und Gips, sondern die mit ihrer Hilfe inszenierten Photographien stellen das eigentliche Werk des Künstlers dar. Mittels der photographischen „Dokumentation“ der Herstellung (und Zerlegung) seiner Puppe stellt Bellmer den Prozess der Schöpfung (und Zerstörung) nach, übt auf diese Weise Rache an der als Substitut dienenden Figur für die ihm widerfahrene Schmach. Ein Akt, der, wie Bellmer zugleich einräumt, zum Scheitern verurteilt ist.
Erst durch die Photographie erhält Bellmers Puppe ihre Lebendigkeit. "Die Puppe, die uns [...] als morbid-lebendiges Geschöpf gegenübertritt, visualisiert par excellence die fotografische Eigenschaft das lebendige Bild von etwas Totem zu generieren. [...] Mit der Anspielung auf das Motiv der weiblichen Leiche potenziert sich zudem der Bildstatus von Weiblichkeit, denn mit der Totenstarre wird der Körper zum Bild und fordert damit geradezu weitere bildliche Darstellungen heraus." (Birgit Käufer, a.a.O., S. 57).
Bellmer nutzt verschiedene photographische Herangehensweisen, um die Kunstfigur zum Leben zu erwecken. Von der effektvollen (portrait-) photographischen Inszenierung unter Einsatz von Schlaglichtern, um einen Chiaroscuro-Effekt hervorzurufen, bis hin zu experimentellen Dunkelkammerverfahren, hier in Form eines Negativabzugs. Ein Selbstportrait mit Puppe zeigt den Photographen als halbtransparenten, verwischten Schemen neben seiner klar wiedergegebenen Puppe, die sich abwehrend abzuwenden scheint. Fast immer ist der Photograph seinem Objekt zu nahe gerückt, zeigt nur dessen Fragmente und Details, zum Teil eingerahmt von Spitzenstoff und Tüll, was an eine Vergewaltigung oder wenigstens eine schamverletzende Entblößung denken lässt.
Insgesamt 28 Aufnahmen entstehen an und mit dem "Photomodell" der ersten Puppe Bellmers, von denen er eine Auswahl von 10 Photographien in dem hier vorliegenden Buch erstmalig präsentiert. Eine größere Auswahl von 18 Aufnahmen erscheint noch im selben Jahr auf einer Doppelseite in der Dezemberausgabe der Zeitschrift ‚Minotaure‘ (Heft 6, 1934, S. 30/31), eine Veröffentlichung, die in Frankreich großes Aufsehen erregte und Bellmer zu dessen Aufnahme in die Pariser Surrealistenkreise verhilft. Es folgen Reisen nach Paris und die Teilnahme an wichtigen Gruppenausstellungen der Surrealisten. Bellmer setzt seine Arbeit an der Puppenthematik mit dem Bau einer zweiten Puppe fort und verläs
Vom Photographen an den Vater der heutigen Eigentümerin
Upper estimate price exceeded by 32 %.
The work Die Puppe. Erinnerungen zum Thema Puppe by Hans Bellmer was sold in the Evening Sale - Moderne und Zeitgenössische Kunst auction at Lempertz in Cologne in June this year. The »bidding war« ended at EUR 52,920.00 32% above the upper estimate. Admittedly, works by Hans Bellmer have also been auctioned for a multiple of this price - according to our records, the highest result so far was achieved by the work Self-Portrait With Die Puppe in October 2012 with an auction result of USD 374,500.00 (€ 289,010.65).
Oberer Schätzpreis um 32 % übertroffen
Die Arbeit Die Puppe. Erinnerungen zum Thema Puppe von Hans Bellmer wurde im Juni diesen Jahres in der Auktion Evening Sale - Moderne und Zeitgenössische Kunst bei Lempertz in Köln versteigert. Das »Bietergefecht« endete beim Preis von EUR 52.920,00 und damit 32% über dem oberen Schätzpreis. Freilich wurden Arbeiten von Hans Bellmer auch schon für ein Vielfaches dieses Preises versteigert – das bisher höchste Ergebnis erzielte nach unseren Aufzeichnungen die Arbeit Self-Portrait With Die Puppe im Oktober 2012 mit einem Auktionsergebnis von USD 374.500,00 (€ 289.010,65).