Künstlerkollektive: Alte Arbeitsweise neu entdeckt?
Ob bei der Documenta, der Biennale oder der Art Basel: weltweit sind immer mehr Gruppenpositionen zu verzeichnen. Wir lassen die Künstlerduos Tamsjadi & Schmidt und Mazenett/ Quiroga zu Wort kommen und fragen sie nach dem Reiz der Zusammenarbeit, wie sie mit Klischees und Konflikten umgehen und was die Arbeitsweise im Kollektiv nach wie vor so attraktiv macht.
Trotz einer konstant steigenden Zunahme an Künstlergruppen, geistert immer noch die romantische Vorstellung vom Künstler als Individualist und einsamen Genie durch viele Köpfe. Wenn Künstlerinnen und Künstler verlauten lassen, dass sie in einem Kollektiv arbeiten, werden sie daher zunächst häufig aus einer Mischung von Respekt (Die trauen sich ja etwas!) und Misstrauen (Na, mal sehen, wie lange das hält!) betrachtet. Diesem Argwohn muss man zu Gute halten, dass es keine grundsätzlichen Regeln für die künstlerische Zusammenarbeit gibt und daher die Irritation schon fast vorprogrammiert ist. Lina Mazenett und David Quiroga von dem kolumbianischen Künstlerduo Mazenett/Quiroga arbeiten seit vielen Jahren zusammen. Auch sie gestehen:
»Die Leute verstehen manchmal nicht so gut, wie wir zusammenarbeiten, aber wir verstehen es selber nicht. Es gibt keine festgelegten Regeln innerhalb des Kollektivs, jede Arbeit und Rolle mutiert und verändert sich bei jedem Projekt.«
Die Berliner Schauspielerin Sinta Tamsjadi und der Hamburger Fotograf Thomas Schmidt von Tamsjadi & Schmidt haben ähnliche Erfahrungen gemacht:
»Wir werden häufig gefragt, ob wir auch privat ein Paar sind. Die Menschen sind verwundert, wenn sie hören, dass wir es nicht sind. Dann erfahren wir meist Offenheit und Neugier. Wir erleben das Nicht-Teilen des Alltags sogar als Vorteil zur Fokussierung auf unseren künstlerischen Weg. Eine häufige Frage ist auch, wie wir uns einigen, wenn wir verschiedener Meinung sind.«
Die erste Verunsicherung tritt oftmals bereits bei der Definition der künstlerischen Zusammenarbeit auf; so werden Künstlergruppen, welche überwiegend gemeinsam an einem Kunstwerk arbeiten, häufig mit Kunstbewegungen verwechselt, bei denen unterschiedliche Künstler und Zusammenschlüsse einer gemeinsamen Idee folgen. Diese Art der gemeinsamen Arbeit hat heute eher abgenommen, wohin Kollektive im Sinne einer tatsächlichen Zusammenarbeit sich häufen. Die bekanntesten frühen Beispiele für Künstlergruppen sind etwa in Deutschland die expressionistischen Gruppen Brücke und Blauer Reiter, in Europa die einzelnen Gruppen um die Futuristen, Surrealisten, Dadaisten und De Stijl, in Russland die kubofuturistische Gruppe Hyläa oder in Kolumbien die Gruppe Bachué. Häufig schlossen sich Künstlerinnen und Künstler mit dem Ziel zusammen, ihre politische Haltung zum Ausdruck zu bringen; man denke dabei nur an den Einfluss der Hippie- und später der Punkbewegung auf die Künste der 70er bis 80er Jahre. Doch das war nicht überall der Fall: Fernab des Westens suchten in diesem Zeitraum die koreanischen Künstler der Dansaekhwa-Gruppe nach einer eigenständigen “modernen“ Ausdrucksweise.
In den letzten Jahren lassen sich wieder vermehrt kollektive Kunstformen finden. Aktuell wird dieser Arbeitsweise eine ganze Documenta gewidmet. Unter dem Motto Kunst und Aktivismus wurden in Kassel zahlreiche Gruppenpositionen vorgestellt. Neben der umstrittenen indonesische Künstlergruppe Taring Padi nehmen weitere Initiativen wie The Nest Project aktuelle sozialpolitische Themen in ihren Werken auf. Ein Beispiel ist die Arbeit Return To Sender. Sie besteht aus einem haushohen Berg von gebündelten Altkleidern. Daneben wurde ein ebenso imposanter Kubus von zusammengepresstem Altmetall platziert. Was im Rahmen der Dokumenta15 eine Skulptur darstellt, ist in Kenia und anderen afrikanischen Ländern trauriger Alltag. Leider landet immer noch ein großer Teil des Mülls aus wohlhabenden Ländern in Afrika. Die Installation thematisiert somit ein Problem, dass viele Menschen angeht. Die Arbeit in der Gruppe ermöglicht dabei eine Verstärkung der einzelnen Positionen, vervielfältigt die Stimmen und die Erfahrungen, bei denen sich die Künstlerin oder der Künstler durch die Gemeinschaft bestätigt fühlt, werden zu einer wichtigen Basis für die kollektive Zusammenarbeit.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass die meisten Künstlergruppen sich durch ihre gemeinschaftlich geschaffenen Werke von einem häufig konservativ geprägten Individualismus abzuheben versuchten. Sinta Tamsjadi und Thomas Schmidt glauben: » (…), dass zeitgemäß viele Künstlerinnen und Künstler erleben, dass es fruchtbar ist und sogar mehr Spaß macht, gemeinsam zu arbeiten. Und dass es einer Sehnsucht entspricht, sich künstlerisch und beruflich aufgehoben zu fühlen in einem Kollektiv«.
Hinzu kommt, dass eine Thematik durch unterschiedliche Meinungen oftmals mehr vertieft werden kann, als es im Alleingang möglich wäre. Arbeitet man also auf ein bestimmtes gemeinsames Ziel hin, können die kreativen Möglichkeiten dadurch multipliziert werden. Lina Mazenett und David Quiroga betrachten sich daher nicht nur als Kollektiv, sondern nennen sich scherzhaft Komplizen, ein Wort, dass eigentlich die Zusammenarbeit von Verbrechern beschreibt. Wie bei Verbrechens-Komplizen sei es auch beim künstlerischen Prozess extrem bereichernd, mehr als eine Perspektive auf das zu haben, was sie schaffen.
Natürlich birgt diese Art der Zusammenarbeit jede Menge Konfliktpotential. Mazenett/Quiroga arbeiten zurzeit über die große Distanz zwischen Kolumbien und Deutschland zusammen. Sie sagen:
»Die Arbeit als Kollektiv macht die Prozesse viel kritischer, was großartig ist, aber gleichzeitig macht es auch einige Entscheidungen und Prozesse etwas langsamer, manchmal brauchen wir mehr Zeit, bis wir einen Konsens und Einstimmigkeit erreichen. (...) Während der Verhandlungen zur Entscheidungsfindung bei der Umsetzung von Ideen ist es ganz normal, dass es zu Meinungsverschiedenheiten, Konflikten und Missverständnissen kommt. Wir sind beide sehr unterschiedliche Menschen, und manchmal erfordert das Erreichen von Vereinbarungen zusätzliche Anstrengungen von beiden Parteien.«
Tamsjadi & Schmidt kennen diese Geduldsproben als Duo. Sie erzählen, dass auch ihr Arbeitstempo langsamer als bei Solokünstlern sei. Allerdings nähmen sie das gerne in Kauf, da diese Arbeitsform ihnen ermöglicht, gemeinsam durch künstlerische Prozesse gehen zu können. Spannungen in Bezug auf ihr Zeitmanagement würden sich eher durch das Leben in verschiedenen Städten ergeben – Sinta lebt in Berlin, Thomas in Hamburg. Sie berichten, wenn sie sich nicht genau zuhören und sich deshalb übergangen oder nicht gesehen fühlen, käme es zum Streit. Aber in Bezug auf ihre Kunst erleben sie nie Diskrepanzen, was sie selbst erstaune.
Geduld und gute Kommunikation untereinander sind also unabdingbar, um aufkommende Konflikte zu lösen. Wenn diese Dinge gegeben sind, kann auch die Arbeit über größere Distanzen funktionieren. Aber wieso nehmen die Künstlerinnen und Künstler diesen kreativen Kampf in Kauf und was ist letztlich so faszinierend an dieser Arbeitsweise?
»Weil wir soziale und gesellige Wesen sind, weil es eine Möglichkeit ist, sich dem individualistischen System zu widersetzen, das uns der Kapitalismus aufzwingt, weil immer mehr Menschen erkennen, dass es andere, solidarischere Beziehungen gibt, die mehr Nutzen und Glück bringen als Konkurrenzbeziehungen.« (Mazenett/ Quiroga)
»Wir arbeiten gerne zusammen und wollen es auch gar nicht anders. Wir ergänzen uns auch ohne Worte und zusammen sind wir mehr. Wir kommen aus verschiedenen Disziplinen (Thomas Fotografie, Sinta Schauspiel). Unsere Verschiedenheiten befruchten sich und lassen Neues entstehen und sind elementarer Teil unserer Zusammenarbeit.« (Tamsjadi & Schmidt)
Sinta Tamsjadi (Berlin) und Thomas Schmidt (Hamburg) arbeiten seit 2014 als Duo zusammen. In verschiedenen Hamburger Ateliers entstehen aufwendig konzipierte Fotografien, welche sich mit existenziellen Themen, wie Geburt, Leben und Tod, auseinandersetzen und beispielsweise in der Fotoserie Fallen den Kontrollverlust über unser Dasein dokumentieren. Sinta Tamsjadi, vormals Schauspielerin und Regisseurin, übernimmt dabei den choreographischen Aspekt und der Fotograph und Künstler Thomas Schmidt setzt die gemeinsam erarbeiteten Konzepte fotografisch um.
https://www.instagram.com/tamsjadischmidt/
Lina Mazenett (Berlin) und David Quiroga (Bogotá, Kolumbien) kennen sich seit ihrer Studienzeit an der Universidad Nacional in Bogotá und arbeiten seit 2014 als Künstler zusammen. Sie erarbeiten aufwändige Installationen, denen ein monatelanger Prozess vorweg geht. Das Duo thematisiert dabei die oftmals problematische Wahrnehmung der Natur durch den Menschen. Sie decken diese Kontraste auf, wenn sie verschiedene kulturelle, soziale, wissenschaftliche oder wirtschaftliche Kontexte aufeinanderprallen lassen. So folgten sie beispielsweise im Amazonas den Spuren eines Jaguars und platzierten diese inmitten des Großstadtdschungels.
https://www.mazenett-quiroga.com/
https://www.instagram.com/mazenettquiroga/
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