New Yorks wilde 80er

10 Ereignisse, die Jean-Michel Basquiat zur Kunstikone gemacht haben

Das Werk von Jean-Michel Basquiat ist fest verankert in der US-amerikanischen Kunstgeschichte der 1980er Jahre und sein Name wird mit Künstlergrößen wie Keith Haring, Andy Warhol und Jackson Pollock in Verbindung gebracht. Doch wieso ist dieses Jahrzehnt so stilprägend für den Künstler gewesen und was macht seine Kunst nach wie vor so aktuell?

von Marén Cohen Monroy, 21. September 2022
Warhol-Basquiat-Clemente-Bischofsberger
Galerie Bruno Bischofberger, Quelle: Wikipedia
Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat, Bruno Bischofberger und Francesco Clemente, 1984

1. New Yorker Extreme: Reichtum vs. Armut

Der New Yorker Stadtteil Brooklyn, in dem Jean-Michel Basquiat aufwuchs, war in den 1970er und 80er Jahren überwiegend von einer sozial schwachen, häufig Schwarzen Bevölkerung bewohnt und zu einem trostlosen Ghetto heruntergekommen. Im krassen Kontrast dazu stand der reiche, weiße Norden Manhattens (Upper Manhatten oder Uptown), in dem sich in dieser Zeit auch der große Teil der Galerien befand. Die etablierte Kunstszene war zu der Zeit alles andere als divers, von Weißen dominierte, für Schwarze schwer zugänglich - sei es als Besucher, Galeristen oder Künstler. Viele Kreativschaffende aus Brooklyn, Harlem oder aus »Downtown« suchten daher nach einer eigenen kulturellen Ausdruckweise und wurden in der Streetart und der Hip-Hop-Kultur fündig. Jean-Michel Basquiat widersprach dieser sozialen und rassistischen Zweiteilung der Kulturen, denn er wollte nicht in ein Klischee gezwängt werden, sondern seinen eigenen Weg als Künstler gehen. Das mag einer der Gründe gewesen sein, mit der er sich in die New Yorker Kunstszene innerhalb von kürzester Zeit hineinkatapultierte.

2. Pablo Picassos Guernica im MoMA

Nachdem das wohl berühmteste Werk Picassos in der Pariser Weltausstellung und in zahlreichen Ländern Nordeuropas gezeigt wurde, gelangte es 1939 in die USA. Auf Wunsch des Künstlers sollte das Bild erst dann nach Spanien zurückgebracht werden, wenn das Land zur Republik geworden ist, bis dahin verblieb es zunächst im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA). Obwohl nach Francos Tod die konstitutionelle Monarchie in Spanien eingeführt wurde, kam das Gemälde 1981 in den Prado und 1992 in das Museo Reina Sofia, Madrid.
Jean-Michel Basquiat hatte somit als Kind und junger Erwachsener die Gelegenheit, das Gemälde im MoMA zu betrachten. Wie er in mehreren Interviews berichtete, waren für ihn diese Museumsbesuche mit seiner Mutter wegweisend gewesen und prägten sein Kunstverständnis nachhaltig. In einem Interview erzählte der Künstler, dass er sich selbst ein Werk von Picasso zugelegt hat. Er hat allerdings nie erläutert, was ihn genau an dem Stil des Spaniers gefiel. Vielleicht war es die kubistische Zergliederung, die betonten Silhouetten der Figuren, oder war es der ausdrucksstarke Duktus, welcher später auch in seinen Werken zu finden sind?

3. Der Hype um die Graffitis von SAMO©

Lange bevor Jean-Michel Basquiat als etablierter Maler bekannt wurde, war er zusammen mit seinem Schulfreund Al Diaz als Streetartist SAMO© (Kurzbezeichnung für »Same Old Shit«) in den Straßen New Yorks unterwegs. Ihre Graffitis waren in ganz Harlem zu finden und fester Bestandteil des Stadtbildes. Kennzeichnend waren dabei die ganz individuelle Typografie (zum Beispiel mit einem E ohne Senkrechtstrich), mit der das Duo Notizen, Wortfetzen, Teile von Gedichten und eigene Poesie an die Wände schrieb, sowie die dreizackige Krone, welche Basquiat später wie ein Wiedererkennungszeichen in seine Kunst übernahm. Der Künstler selbst wollte später nicht mehr mit der Graffitikunst in Verbindung gebracht werden, denn diese Ausdrucksform war für ihn Teil des harten Lebens der armen, Schwarzen Bevölkerung und stand somit im Kontrast zu dem glamourösen Leben, das er anstrebte.

4. Der Mudd Club

Von der New Yorker Klubszene der 1970er Jahre ist allen voran das »Studio 54« in Uptown legendär. Der Club ist für seine exzessiven Partys mit Drogenrausch, Glitzer-Glamour und Diskomusik bekannt und Größen wie Diana Ross, Truman Capote, Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone, John Travolta und Mick Jagger gingen hier ein und aus. Mit dem 1978 gegründeten »Mudd Club« wollten seine Gründer, der Publizist Steve Mass und der Kurator Diego Cortez, ein Gegenstück zum »Studio 54« in Downtown schaffen. Man wollte kreativer und intellektueller als die Konkurrenz erscheinen und die vielfältige Kultur, die den Ort umgab, widerspiegeln. Daher waren Künstlergrößen wie Keith Harring, Andy Warhol und natürlich auch Jean-Michel Basquiat gern gesehene Gäste. Hier wurden in einer sich drehenden Galerie im vierten Stock aktuelle künstlerische Positionen zusammen mit experimenteller Live-Musik, New Wave oder Punk gezeigt. Der Klub ermöglichte somit interdisziplinäre Kollaborationen und setzte der grenzenlosen Kreativität seiner Besucherinnen und Besucher keine Grenzen. Jean-Michel Basquiat verkörperte genau diesen kreativen Geist, indem er sich von der Vielfalt der unterschiedlichen Medien und dem Chaos der alltäglichen Eindrücke leiten ließ, um kraftvolle Kunstwerke zu schaffen.

5. Annina Nosseis Galerie

Das Souterrain der Galerie von Annina Nossei war die Keimzelle von Basquiats künstlerischen Anfängen. Ab 1982 produzierte der Künstler in seinem dortigen Atelier in atemberaubendem Tempo Bilder, die teilweise noch vor der Fertigstellung verkauft wurden. Doch schon bald wechselte Jean-Michel Basquiat die Galerie und mietete sich ein eigenes Atelier.

6. Die Musik von Madonna

Im Jahr 1982 lernte Basquiat die damals noch unbekannte Musikerin kennen und sie wurden für einige Monate ein Liebespaar. In dieser Zeit begann der Künstler, sich zu etablieren, nur wenige Jahre nach ihrer Beziehung wurde Madonna mit dem Hit »Like a Vergin« (1984) auf einen Schlag berühmt. Obwohl inzwischen beide Künstler Weltruhm erlangt haben, ist über die Beziehung der Ikonen wenig bekannt. Fakt ist, dass Basquiats Arbeitseifer großen Eindruck auf Madonna hinterlassen und sie angespornt hat, wie sie später in einem Interview ausführt.

7. Die documenta 7 in Deutschland, 1982

Jean-Michel Basquiat machte international Furore, als er 1982 mit nur 21 Jahren als (bis heute) jüngster Teilnehmer einer documenta ausgestellt wurde. Die Schau unter der kuratorischen Leitung von Rudi Fuchs widmete sich überwiegend klassischen Medien wie Malerei und Bildhauerei und es waren Installationen von Künstlergrößen wie Joseph Boys und Claes Oldenburg zu sehen. Dass Basquiat in so jungen Jahren ausgestellt wurde, zeigt, wieviel Bedeutung man bereits damals seiner Kunst beigemessen hat.

8. Der Tod Michael Stewarts

Michael Stewart war ein afroamerikanischer Straßenkünstler, der am 28.09.1983 durch Polizeigewalt ums Leben kam. Der 25-jährige wurde wenige Tage zuvor in Gewahrsam genommen, als er beim Anbringen eines Graffito von der Polizei erwischt wurde. Der Prozess nach seinem Tod schlug hohe Wellen, da Justiz und Polizei mehrfach versucht haben, den Mord als natürliche Ursache beziehungsweise als Unfall zu vertuschen. Im Jahr 1983 war Jean-Michel Basquiat mit 23 Jahren fast gleichalt wie Michael Stewart, kam ebenfalls aus der Streetart-Szene und kannte nur allzu gut die Vorurteile gegenüber farbigen Menschen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der junge Künstler tief bewegt von diesem brutalen Mord war. Nur wenige Wochen nach Michael Stewarts Tod schuf Jean-Michel Basquiat das Gemälde In This Case. Es zeigt das verprügelte Profil des Opfers und ist ein Mahnmal für die willkürliche Gewalt an farbigen Menschen. Heute ist das Gemälde eines der bekanntesten und am höchsten gehandelten Werke Basquiats.

9. Die Freundschaft mit Andy Warhol

Die Beziehung zwischen Basquiat und Warhol zählt wohl bis heute zu den legendärsten Freundschaften zwischen zwei Künstlern. Die beiden haben sich 1982 kennengelernt, als Jean- Michel Basquiat noch T-Shirts und Postkarten bemalte, für wenige US-Dollar auf der Straße verkaufte und Andy Warhol bereits eine Kunstlegende war. Der Altersunterschied von über 30 Jahren tat nichts zur Sache, es entwickelte sich zwischen den beiden Künstlern ein über sechs Jahre andauerndes inniges Verhältnis und sie schufen in Warhols Factory gemeinsame Werke. Beide distanzierten sich plötzlich, als die Medien Mitte der 1980er Jahre über ihr Verhältnis mutmaßten und mehrfach negative Kunstkritiken erschienen. Dennoch war der plötzliche Tod Warhols im Jahr 1986 ein großer Verlust für Basquiat, von dem er sich bis zu seinem eigenen Ableben im darauffolgenden Jahr nicht erholte.

10. Die »Collaborations« zwischen Warhol, Basquiat und Clemente, 1983

Die Idee hinter der Zusammenarbeit stammt von dem Galeristen Bruno Bischofsberger, der das Ziel des Austauschs und der Weiterentwicklung der von ihm vertretenen Künstler verfolgte. Bei den rund 175 Werken trafen drei völlig verschiedene Welten aufeinander: auffällig ist nicht nur der Altersunterschied – Clemente war damals 31 Jahre alt, Wahrhol 55 und mit 23 Jahren stand Basquiat noch am Anfang seiner Karriere – die drei Künstler verfolgten zunächst auch unterschiedliche Positionen und Techniken. Andy Wahrhol arbeitete damals vorwiegend mit Siebdruck, Clemente malte stille, surreale Welten, wohingegen Basquiat die Farbe laut und spontan auftrug.
Die Kollaboration sah vor, dass jeder Künstler vier Gemälde und eine Zeichnung anfertigte. Diese gingen dann zum nächsten Künstler, welcher darauf reagierte. Die Zusammenarbeit zwischen Basquiat und Warhol war besonders fruchtbar und brachte 23 Gemeinschaftswerke zustande.

Zehn Stationen aus dem leben des Künstlers, die zeigen, dass Jean-Michel Basquiats Werk ohne den Kontext der New Yorker 1980er Jahre wohl niemals mit dieser Intensität entstanden wäre. Dennoch ist die Arbeit des Künstlers nicht als Relikt einer vergangenen Zeit zu verstehen, denn die von ihm bearbeiteten Themen (Rassismus, soziale Ungleichheit, Identität etc.) sind nach wie vor aktuell. Indem er mit seiner persönlichen, spontanen Ausdrucksweise auf seine Umwelt reagierte, machte er seine Arbeiten bis heute unvergleichlich.

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Drei Bilder und ihre Geschichte

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von Marén Cohen Monroy, 25. July 2022
»Robert Frank: Mary’s Book« im Museum of Fine Arts Boston

Robert Frank war ein einflussreicher Fotograf des 20. Jahrhunderts. Das Museum of Fine Arts Boston stellt in Robert Frank: Mary’s Book ein ganz persönliches Fotobuch aus den jungen Jahren des Künstlers vor. Die Schau eröffnet am 21. Dezember.

21. December 2024