Die Antipoden bestimmen unser Leben; kein Muskel funktioniert ohne Beuger und Strecker, kein Herz­schlag ohne Systole und Diastole, kein Erkennen des Ich ohne das Du. Unsere Ratio formt daraus einen Kanon von komplementären Begriffspaaren. Gegensätze wie Liebe - Hass, Gewinner - Verlierer, Täter - Opfer markieren die Pole der abstrakten Anschauungsweise des reinen Denkens. Das Individuum be­ginnt die Wahrheit für sich zu beanspruchen, ohne sich der Lüge des Geteilten zu stellen. Ein Leben nur als Protagonist ist nicht möglich, es fehlt der Antagonist. Gelebt werden will diese komplementäre Vor­stellungswelt im Spannungsfeld zwischen den polaren Eckwerten; nichts ist nur gut, nichts nur böse, was heute richtig scheint, kann morgen sich als falsch herausstellen; mit jedem Entscheid finden wir uns im Graubereich zwischen den Extremen wieder. Wir (unter-)scheiden die Pole und entscheiden uns da­zwischen.

Das Leben spannt einen Bogen zwischen zwei Extremwerten, auf der sich der Punkt unserer Ent­scheidung hin und her bewegt. Zwei resp. drei - aus einer unendlichen Vielzahl ausgewählte - Ent­scheidungsstränge schneiden sich im Kreuz; zwei Achsen in der Ebene, drei Achsen im Raum. Das Kreuz umfasst die Welt; nicht nur oben und unten, links und rechts, vorne und hinten werden durch seine Arme verbunden, auch frei und abhängig, verzweifelt und hoffnungsvoll oder empathisch und gefühls­kalt. Aufgrund unserer Stellungnahme ergeben sich individuelle Kreuze - die Schnittstelle der Achsen als Brennpunkt unserer momentanen Einstellung – zwei Spannungsbögen, vier Richtungen, quinta essentia (Quintessenz) im Kreuzpunkt.

Die Arme des Kreuzes wölben sich zur Schalenform, wenn es als Leerraum der drängenden Fülle der materiellen Welt ein Gegenüber sein muss. Die unermessliche Flut materieller Dinge und Güter er­fordert den Gegenpol, die Leere, das Hohle; Gefässe, die keiner Funktion nachzukommen haben, als der, den materiellen Fluss durch Nichtigkeit zu bannen (freie gedankliche Anlehnung an Hugo Kükelhaus; Urzahl und Gebärde). Fülle und Leere - ein sich bedingendes Komplementärpaar. In der Leere kommen wir zur Ruhe, können uns neu finden und Entscheide erhalten intuitive Klarheit.

Kreuz und Hohlraum spielen als Ausdrucksträger in meiner Gestaltung eine wichtige Rolle. Meine Skulpturen erwachsen aus der notwendigen Ambivalenz im menschlichen Verhalten und gesellschaft­lichen Dasein; sind ein Plädoyer für die Ambivalenz (lateinsch: ambo «beide» und valere «gelten»). Hinweise auf Polaritäten finden sich in Gestaltung und Namensgebung. Ziel der Gestaltung ist immer die Möglichkeit einer versöhnlichen Vereinbarkeit der Extreme, in einer Zeit, wo argumentstarkes Beharren auf Richtigkeit als Weltgewandtheit gefeiert wird.